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Einsam ist die Freiheit des Westens

Die Kimberleys in Westaustralien sind nichts für Anfänger. Nur ein echter Outback-Profi kann sie durchqueren  ■ Von Barbara Dorn

Umringt von abenteuerlichen Gestalten in zerfetzten Hemden stehst du am Lagerfeuer. Aus dem verrußten Teetopf schenkst du die Blechtasse voll. Du schiebst weitere Eukalyptusäste in die Glut und bedauerst den fluchenden Harold, der humpelt, weil heute ein Stier sein Knie demoliert hat. Nach und nach rollen sich die Viehtreiber müde neben ihren Sätteln zusammen. Dann liegst auch du in deinem Schlafsack und beobachtest, wie das Lagerfeuer kümmerlich rostrot zusammenrutscht. Dumpf blökt die Herde hinter ihrem soliden Eisengitter. „Das ist das wahre Leben“, sagt Paul, der Koch.

Die Kimberley-Region, hoch droben im tropischen Norden Westaustraliens, wo im Sommer die Temperaturen über 40 Grad steigen und im Winter der Monsunregen harmlose Rinnsale zu tosenden Strömen anschwellen läßt, ist Outback pur. Das zerklüftete Hochplateau, wo neben dem verwilderten Vieh der Cattle Stations auch Dingos, Känguruhs, Emus, wilde Esel, Schlangen, Krokodile und Drachenechsen leben, ist wenig erforscht und kaum besiedelt. Einige Aboriginal-Stämme haben sich hierher zurückgezogen, weil die Gegend als unzugänglich gilt; nur wenige Weiße ertragen das einsame Dasein in ungebändigter Natur.

Als Ausgangspunkt für die Erkundung der Kimberleys wählst du das Verwaltungszentrum im Osten der Region: Kununurra. Über den Ort sind die Touristen geteilter Meinung. Sie finden es entweder „hot“, oder „too hot“. Die 50.000- Seelen-Siedlung im Wellblechstil ist der letzte Vorposten der Zivilisation vor der Wildnis. Im Norden ist lediglich die Kalumbur Mission, wo wenige Benediktinerschwestern um die Seelen der dreihundert Aborigines im Gebiet ringen.

Von Kununurra aus führen zwei Straßen quer durch das Hochplateau nach Westen ans Meer: der öde, geteerte Great Northern Highway und die legendäre Gibb River Road, eine Sand-Stein-Piste, die allein mit Vierradantrieb zu bewältigen ist. Und das nur außerhalb der Monsunzeit. Für Traveller eine Herausforderung. Die nimmst du, Ehrensache.

„Haßt du wenigstens eine Schaufel und einen Reservetank?“ fragt der Tankwart, den tätowierten Adler auf dem Oberarm. „Das sind 667 Kilometer voller Geröll und Furten.“ Geschockt kaufst du doch noch einen 30-Liter-Wasserkanister und vorsorglich weitere vier Dosen Keks als Notproviant. „Next Service Mt. Barnett 364 km“, informiert eine Warntafel am Beginn der Gibb River Road. Darunter steht, „ungeeignet für konventionelle Fahrzeuge“ sowie der Tip, sich im Shire of Wyndham zu erkundigen, ob überhaupt ein Durchkommen ist.

Ja, du bist viel allein auf dieser Wellblechpiste, die einst durch den unzugänglichen Busch geschlagen wurde, um die Rinder nach Derby zu kutschieren. Nur vier-, fünfmal täglich wird dein Geländewagen in die Staubwolke entgegenkommender Fahrzeuge gehüllt. Noch seltener sichtest du den Stichpfad zu einer Farm, dem einzigen Lebenszeichen der wenigen Anwohner der Route. Bei einigen dieser „Homesteads“ kannst du Betten und Essen bekommen. Mancher Farmer nutzt gern den touristischen Nebenerwerb. Der britische Aristokrat Sir Burell, der das Erbe seiner Großmutter in die Rinderfarm „El Questro“ und ein Urlauber-Bungalow-Dorf gesteckt hat, veranstaltet Führungen durch sein Reich. Das ist tagesfüllend, die Farm umfaßt 4.000 Quadratkilometer. Winzig erscheint dagegen das Anwesen des jungen Pärchens Ann und Byrne Terry aus Sydney. Ihre „Ellenbrae-Station“ ist mit 700 qm geradezu übersichtlich – und ihr Heim bezaubernd. Über dem Wohnhaus schwebt ein Dach auf Stelzen; Efeu umrankt die Open-air-Küche; die Toilette ist ein bemaltes Kunstwerk; und das Badezimmer besteht aus einer Wanne unter einem Boab-Baum. Hier läßt du dich gerne nieder.

Früher donnerte Terry als Überlandfahrer mit Road- Trains über die endlosen australischen Highways. Heute kämpft er sich mit seinem Bull- Track durchs Gestrüpp. Seinen Besuchern zeigt er den Rücken, der seine Liebe zu diesem Land für ewig dokumentiert: gewaltig zieht sich ganz Nordaustralien als Tattoo vom linken zum rechten Oberarm. „Selbst entworfen“, sagt er stolz. Beim Unwetter nach der letzten Dürre ersoffen ihm 8.000 Rinder. Auf seinem Eisschrank steht: „Gewinner geben nie auf.“

Auf einer Cattle Station bekommst du mit, wie die Farm-Boys zum „Mastering“, dem alljährlichen Viehauftrieb, starten. „Zu Hause parieren die Rindviecher, wenn du ihnen einen Tritt in den Hintern gibst. Hier greifen sie dich an“, knurrt der kleine, lockige Ronster aus Queensland und zupft an den blutigen Fetzen, die ein Rinderhorn von seinen Jeans übrig gelassen hat.

Doch irgendwann in der Dämmerung steht die Herde sicher hinter Gittern; langsam senkt sich der pulverfeine, rostrote Staub, den die stampfenden Rinderhufe beim Einkesseln aufgewirbelt haben. Jetzt ist die Zeit, mit dem Vorreiter Ian, einem zähen, blonden Burschen in Lederfransenhose mit Walkie-Talkie im Gürtel, ein ausführliches Gespräch zu führen über den sinkenden Fleischpreis.

Unterwegs stößt du überall auf schrullige Typen. In den kleinen Touristenhüttchen an Jack's Waterhole kocht die 60jährige Nathalie für die Besucher. Eine zierliche Witwe aus Melbourne mit störrisch blondem Haarschopf und wachen blauen Augen. Während sie Kartoffelsuppe, Fleischbällchen und Kürbisgemüse serviert, erzählt sie dir von ihren vier überbeschäftigten Kindern, die nie Zeit hatten, mit ihr zu verreisen. Sie setzte sich in einen Überlandbus und landete in Kununurra, wo sie das Stellenangebot eines Kimberley-Farmers las: „Manager für kleines Anwesen gesucht“. Eigentlich hatte der Inhaber an einen jungen Mann gedacht. „Dem hab' ich gesagt, wer vier Kinder großgezogen hat, schmeißt Ihren Gästebetrieb allemal.

Du denkst: „Was willst du mehr, als die freie Natur?“ — und verläßt sie. Die Zivilisation beginnt in dem Küstenstädtchen Broome. Anfang des Jahrhunderts verschafften Perlen und Perlmutt aus dem Indischen Ozean der Hafenstadt blühenden Reichtum. Dann übernahmen die Japaner das Geschäft. Unkraut überwucherte den Friedhof der verunglückten Perlentaucher. Der Späthippie, der unten am Sandstrand „Cable Beach“ seine fünf Kamele vermietete, kam kaum auf seine Unkosten.

Heute erlebt Broome einen Boom als Urlaubsparadies. Die Zahl der Kamele hat sich vervielfacht. Im „Sun Pictures“, dem hölzernen Lichtspielhaus aus dem Jahr 1916, laufen abends unter freiem Himmel die aktuellsten Hollywood-Thriller. Und auf der Tanzfläche des feudalen Ferienclubs am Cable Beach drängen sich Halbnackte.

Es ist voll. Zu voll für dich. Du nimmst dir ein Kamel und reitest in die untergehende Sonne.

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