Die Legende von Paula

Bill Clinton im Netz der „Bimbos“. Die Skandalchronik des „Zippergate“ ist voller Personal, das dem Country-Song entsprungen sein könnte. Dabei sind die Amerikaner weniger puritanisch, als derzeit behauptet  ■ Von Mariam Lau

Die Songs der amerikanischen Country-Queen Tammy Wynette künden von einem enttäuschungsreichen Leben. Immer wieder wird sie darin mit gebrochenem Herzen auf den Treppen einer Südstaatenveranda sitzengelassen, sieht Rivalinnen an sich vorbeiziehen und flegelhafte Cowboys kommen und gehen. Zufriedenheit kennt sie nur im Konjunktiv. Ihr bekanntestes Lied, „Stand by your man“, ist voller Durchhalteparolen, wie man sie sich in ihren Kreisen beim Friseur unter der Trockenhaube zuspricht. „Wenn du ihn liebst, sei stolz auf ihn, schließlich ist er nur ein Mann“, heißt es darin. Hillary Clinton hat es dieser Tage zitiert, als sie sich zu einer weiteren Verteidigungsaktion für ihren Mann anschickte.

Die Skandalchronik des „Zippergate“ – der angeblichen präsidialen Hosenschlitz-Affären, die degoutant bleibt, was immer der Ausgang sein wird – ist voller Figuren, die aus Tammy Wynettes Songs entsprungen sein könnten. Immer mehr Frauen mit big hair präsentieren sich der Öffentlichkeit, die sich als Königinnen toupiert und als Aschenputtel fremden mächtigen Männern in den Weg geworfen haben, hoffend, es möge einer über sie stolpern. Man nennt sie dort drüben „Bimbos“. Sind sie, wie jetzt vermutet wird, die Galionsfiguren eines neuen Feminismus, der sich leicht mit dem Puritanismus der christlichen Fundamentalisten paart?

Die besondere Dramatik amerikanischer Prominentenprozesse bringt es mit sich, daß die Verteidiger des Präsidenten auf die Anschuldigungen des Klägerteams mit einer Durchforstung der Biographie, speziell des Sexuallebens der Klägerinnen reagieren und die Ergebnisse, falls für ihre Zwecke brauchbar, der halb faszinierten, halb überdrüssigen Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen.

Was da so zu Tage gefördert wurde, hat bislang noch keine Feministin für die Sache der Frauenbefreiung zu reklamieren versucht. Nicht einmal Barbara Ehrenreich, hierzulande bekannt geworden durch die Übersetzung ihrer Studie über den Krieg, mochte sich in ihrer wütenden Tirade im Guardian, „How Bill screwed us all“, auf die Seite der „Bimbos“ stellen.

Paula Jones zum Beispiel. Die ehemalige Staatsbedienstete aus Arkansas beschuldigte Clinton bekanntermaßen, sie im Mai 1991 – sie war damals vierundzwanzig Jahre alt – in sein Hotelzimmer bestellt, die Hosen heruntergelassen und sie gebeten zu haben, seinen Penis zu küssen. Sie hatte sich zunächst von zwei relativ leidenschaftslosen Anwälten vertreten lassen, die drauf und dran waren, sich mit den Anwälten der Gegenseite auf einen Vergleich einzulassen, bei dem sie 700.000 Dollar und Clintons Versicherung bekommen hätte, daß sie sich keines unanständigen Verhaltens schuldig gemacht habe.

Jones aber schlug das Angebot aus. Eine neue Figur war ins Spiel getreten, eine gewisse Susan Carpenter McMillan, bekannte Abtreibungsgegnerin aus Los Angeles, die seit etwa fünfzehn Jahren auf eigene Faust Kampagnen führt. Auf ihrer Karte steht „Suan Carpenter McMillan, The Women's Coalition“, die aber im wesentlichen aus ihr selbst zu bestehen scheint. Sie hat sich zuletzt für die chemische Kastration von Kinderschändern eingesetzt und fand Paula Jones, als diese schon mit ihrem Mann Stephen aus Arkansas nach Kalifornien umgezogen war. Dem New Yorker hat sie erzählt, daß Paula weit davon entfernt ist, die berechnende Schlampe zu sein, als die der Clinton-Anwalt Bennett sie gern darstellen würde. „Sie fragt mich: Die Republikaner, sind das die Bösen oder die Guten?“ Am Telefon spricht sie mit ihr in Babysprache: „Hallo, kleines Paulalein, hattu dut deschlafen?“

Neben McMillan scheint es vor allem ihr Mann Stephen zu sein, der Paula zum kompromißlosen Durchfechten ihrer Klage antreibt. Auch er will „ihren guten Namen retten“. (Unter den vielen Affären, die Paula vor der Ehe hatte, war auch ein gewisser Mike Turner, der Nacktfotos von ihr besaß, die er meistbietend an Penthouse verkaufte, als Paula durch ihre Klage gegen den Präsidenten eine Figur des öffentlichen Interesses wurde.) Stephen hält Clinton für einen Perversen, den es zu stoppen gilt. Auf keinen Fall will er es bei einer finanziellen Entschädigung bewenden lassen.

Inzwischen hat auch das Team der Anwälte gewechselt: Statt der leidenschaftslosen Winkeladvokaten, mit denen Jones ursprünglich angetreten war, arbeitet nun die Firma Donovan Campbell aus Dallas für sie, bekannte Republikaner, die in Texas durch ihren Einsatz für die Wiedereinführung des Sodomiegesetzes und Demonstrationen gegen den Schwulenfilm „Das Kuckucksei“ bekannt geworden sind. Campbell und Co. sind eingeschworene Clinton-Gegner, die mit der Klage keine finanziellen, sondern vorrangig politische Motive verbinden – ähnlich übrigens wie der Sonderermittler Kenneth Starr, der seit achteinhalb Jahren versucht, Clinton etwas nachzuweisen, irgend etwas, und dem auch wohlwollende Parteifreunde nachsagen, er agiere mit Schaum vor dem Mund, aus persönlicher Ranküne. Die Vorwürfe gegen ihn und seine fruchtlosen, aber teuren Untersuchungsmethoden häuften sich so, daß Starr letzten Sommer bereits zurückgetreten war und eine Dozentur angenommen hatte.

Er war es, an den Linda Tripp, eine ins Pentagon versetzte Angestellte der Bush-Administration, die Tonbandmitschnitte ihrer Gespräche mit Monica Lewinsky weitergab, in denen diese von ihren Beziehungen im Weißen Haus spricht. Tripp, kürzlich von einem mit Clinton befreundeten Offizier geschieden, sieht sich als Advokatin der vierundzwanzigjährigen Lewinsky, ist ihr eine Freundin genau wie McMillan für Paula Jones. Sie wäre auch gern Kathleen Willey eine Freundin, die sie vor vier Jahren in zerzaustem Zustand aus dem Oral Office huschen sah. Cherchez la femme! Wer das schon für Feminismus hält, ist jedenfalls sehr genügsam.

Leicht angewidert notiert die Financial Times, in Clintons Weißem Haus seien solche Beziehungen an der Tagesordnung: ein kleiner Gefallen hier, eine Patronage dort, undurchsichtige Querverbindungen von ganz oben nach ganz unten, Seilschaften, Liebesdienste. Ein falscher Schritt, und eine Prozeßlawine löst sich, die Millionen von Dollar verschlingt, private Verhältnisse ans grelle Licht zerrt und so manche geschickt konstruierte Karriere wie ein Kartenhaus zusammenfallen läßt.

Es ist die Welt, wie sie in „Primary Colors“ beschreiben wurde, dem Schlüsselroman des Washingtoner Journalisten Joe Klein, seinerseits auch ein enttäuschter Clinton-Campaigner. Es ist aber auch, nur leicht pervertiert, die Welt, wie Hillary Clinton sie in „It takes a village“ beschrieben hat: der Staat

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und seine Bürger als Dorfgemeinschaft, in der jeder für jeden verantwortlich ist, in dem die Kinder allen gehören und in dem es die Trennung Privat–Öffentlich eigentlich nicht mehr zu geben braucht. Solche frommen Wünsche haben es dem Fernsehsatiriker Jay Leno leicht gemacht, der Präsidentengattin in den Mund zu legen: „Es braucht ein Dorf, um auf meinen Mann aufzupassen.“

Die hierzulande mit einer gewissen Herablassung geäußerte Vermutung, im neuesten Clinton- Skandal zeige sich einmal wieder der Puritanismus des amerikanischen Volkes, mußte sich dieser Tage eines Besseren belehren lassen. Umfragen zeigen, daß über sechzig Prozent des Wahlvolks der Meinung sind, daß Clinton im Amt bleiben sollte. Mit der Dauer des Skandals werden es mehr, nicht weniger, die dieser Auffassung sind. Die Baby-Boomers, seine wichtigste Klientel, haben Erfahrung mit Scheidungen und außerehelichen Affären; sie kann der Mann mit dem „entfesselten Priapus“ (Ehrenreich) nicht schrecken. Aber sie sind enttäuscht, so faßt Newsweek Internet-Debattenbeiträge und Radiohörermeldungen zusammen, daß Clinton so „legalistisch“ zu ihnen spricht, quasi auf Zehenspitzen, ähnlich wie damals, als er zugab, Haschisch geraucht zu haben, aber zu seiner Verteidigung versicherte, er habe nicht eingeatmet. Daß oraler Sex für ihn keine sexuelle Beziehung darstellt (sondern vielleicht eine Art feuchten Händedruck?), sollte er da besser gleich für sich behalten und für wen immer es noch zutrifft.