Umarmer als Wendehals

Bremens Regierungschef Scherf kann beim Streit um den Lauschangriff zum Zünglein an der Waage werden  ■ Von Kerstin Schneider

Bremen (taz) – Bremens Ministerpräsident Henning Scherf (SPD) fährt lieber mit dem Fahrrad anstatt mit dem Dienstwagen in die Senatskanzlei. Dabei steigt der „Lange“, wie die BremerInnen ihren 2,03 Meter großen Bürgermeister und Justizsenator nennen, schon mal vom Rad, um mit Stadtstreichern zu diskutieren oder ältere Damen zu umarmen. Mit seinen 20 Jahren Regierungserfahrung ist Henning Scherf der dienstälteste Senator Bremens.

Der 59jährige Jurist war Finanzsenator, Gesundheitssenator, Wissenschaftssenator und Senator für Soziales. In dieser Zeit hat Scherf, dem nachgesagt wird, er habe mehr BremerInnen umarmt als die SPD Wähler habe, immer wieder von sich reden gemacht. 1979 bezeichnete er den Bundespräsidenten Karl Carstens (CDU) als „Alptraum“. Ein Jahr später demonstrierte Jugendsenator Scherf auf dem Osterdeich gegen ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr im Weserstadion. Er setzte sich bei einer Blockade gegen Anti-Atomraketen auf die Straße und fuhr 1984 als Erntehelfer ins sandinistische Nicaragua.

Vor diesem Hintergrund wartet man nicht nur in Bremen gespannt darauf, wie sich Scherf am 6. Februar verhält, wenn im Bundesrat über Artikel 13 Grundgesetz (Unverletzlichkeit der Wohnung) abgestimmt wird. Bei einer Zweidrittelmehrheit, die der Bundesrat für die geplante Gesetzesänderung zum großen Lauschangriff braucht, könnte Bremen zum Zünglein an der Waage werden.

„Abhören bringt nichts“, war sich Scherf schon auf dem SPD- Bundesparteitag 1993 sicher. „Die Gesetze lassen ausreichend Spielraum für eine wirksame Strafverfolgung“, sagte er auch 1996 in einem Spiegel-Interview und beklagte den „gesetzgeberischen Aktionismus“ in Deutschland. Eine Position, die Scherf kürzlich wiederholte, und zwar just in dem Moment, als sich der Bundestag auf den Kompromiß zum Lauschangriff geeinigt hatte und sich die Befürworter in Sicherheit wiegten.

Der Kompromiß sei „enttäuschend“, sagte Scherf und provozierte einen Koalitionskrach in Bremen. „Wir erwarten vom Senat ein klares Ja. Andernfalls ist die Große Koalition einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt“, sagte CDU-Landeschef Bernd Neumann. „Herr Scherf ist im Augenblick noch dagegen“, fügte Neumann vielsagend hinzu.

Es wäre tatsächlich nicht das erste Mal, daß Scherf seinen Mantel nach dem politischen Wind hängt. Als er sich 1985 um die Nachfolge von Altbürgermeister Hans Koschnik (SPD) bewarb, betonte Scherf, er sei rot-grün und für eine Große Koalition nicht zu haben. Scherf fiel durch, Klaus Wedemeier wurde Bürgermeister. Zehn Jahre später, als Wedemeier nach der Wahlschlappe bei der Bürgerschaftswahl 1995 zurückgetreten war, betonte Scherf, er stünde für rot-grün, sei aber auch zur Zusammenarbeit mit der CDU bereit. Kurz darauf ging Scherf eine Große Koalition ein und wurde Regierungschef.

Scherf, der früher Aufrufe gegen den Bau des Jäger-90 unterschrieben hat, hatte plötzlich keine Skrupel mehr, sich gemeinsam mit dem bayrischen Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) für den Eurofighter auszusprechen. Obwohl er CDU-Bundespräsident Carstens früher als „Alptraum“ bezeichnet hatte, waren es jetzt die Christdemokraten, die aus Koalitionsräson seinen Kopf als Justizsenator rettete.

Nach der Medienrazzia in Bremen stimmte die CDU gegen den Mißtrauensantrag der Grünen und der Wählerinitiative Arbeit für Bremen (AfB). Auch nach dem Skandal in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen, in der Häftlinge von Beamten mißhandelt wurden, war es die CDU, die Scherf vor dem Rücktritt bewahrte. Es sei Scherf offenbar egal, mit wem die SPD koaliere, Hauptsache er bliebe Bürgermeister, unkten die Kritiker über den Wandel des ehemals linken Politikers.

Nur als die CDU die Wehrmacht-Ausstellung im Rathaus verhindern wollte, blieb der Bürgermeister standhaft. Als CDU- Landeschef Neumann vor einigen Tagen allerdings ankündigte, er wolle ausgerechnet im Weserstation ein öffentliches Gelöbnis organisieren, protestierte Scherf nicht. 1980 hatte er sich für sein Verhalten bei dem öffentlichen Gelöbnis noch vor einem Untersuchungsausschuß verantworten müssen. Neumann hatte Scherfs Rücktritt gefordert. „Wir werden einen Ort und eine Form finden“, erklärte Scherf 1998. Als Bremens zweiter Bürgermeister Hartmut Perschau (CDU) vor einigen Tagen im Landesparlament erklärte, er könne sich nicht vorstellen, daß im Bundesrat zum Lauschangriff eine Position beschlossen werde, „die eine Änderung des Grundgesetzes unmöglich macht“, lächelte Scherf. Nach dieser Rede setzte sich Perschau zurück auf die Regierungsbank neben Scherf, der sofort den Arm um ihn legte.