Lafontaine will den Lauschangriff noch einmal nachbessern lassen

■ Der SPD-Chef appelliert an Kohl: Der von seiner Partei mit der Koalition ausgehandelte Kompromiß reiche nicht aus

Bonn (taz) – Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine hat gestern an Bundeskanzler Helmut Kohl appelliert, den Weg für eine Nachbesserung des Parlamentsbeschlusses zum Großen Lauschangriff freizumachen. Auch die Wohnungen von Ärzten, Rechtsanwälten und Journalisten müßten vom Abhören ausgenommen werden, verlangte Lafontaine eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat.

Die SPD habe von Beginn an alle Berufsgruppen mit Zeugnisverweigerungsrecht vor dem Abhören durch die Polizei schützen wollen, sagte Lafontaine. Zwar hatte die SPD beim Mannheimer Parteitag im Dezember letzten Jahres einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Dennoch war die Öffentlichkeit in dem Glauben gelassen worden, daß die SPD den von ihr unter der Führung des Abgeordneten Schily mit der Koalition ausgehandelten Kompromiß mittragen wolle. Erst in der vergangenen Woche hatte Lafontaine öffentlich zu erkennen gegeben, daß er das Paket mit der Koalition noch einmal aufschnüren möchte. Damals hieß es, es werde erwogen, den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat anzurufen.

In der SPD hatte sich vor allem Bremens Bürgermeister Henning Scherf gegen den Kompromiß ausgesprochen. Bisher ist unklar, ob der Stadtstaat im Bundesrat gegen den Großen Lauschangriff stimmen wird. Darüber will der SDP/ CDU-Senat der Hansestadt am Dienstag entscheiden. Da sich bereits die rot-grün regierten Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Hessen und Sachsen-Anhalt enthalten wollen, würde bei einer Enthaltung Bremens die Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung verfehlt. Berichte Seiten 4 und 7