Sicher wie ein Lottogewinn

■ GAU Tankerhavarie: Braucht die Deutsche Bucht den Hochseeschlepper „Oceanic“? / Experten diskutierten

Ausländische Kapitäne reden von „Piccadilly-Circus“und „Horrortrip“, wenn sie ihre Schiffe durch die Deutsche Bucht steuern müssen. Das Gedrängel ist groß und wird voraussichtlich noch größer. Die Navigation stellt aufgrund der Gezeitenströmungen und des starken Tidenhubs hohe Anforderungen. Schlechtwetter ist häufig. Zahlreiche ausgeflaggte, mit dubiosen Sicherheitseinrichtungen ausgestattete „Substandardschiffe“sind unterwegs.

Nicht nur Freunde der ökologisch sensiblen Wattengebiete und all jene, die auf den Inseln und an der Küste vom Tourismus leben, fürchten den worst case, die Havarie eines Supertankers. Und auch andere große Schiffe haben heute bis zu 20.000 Tonnen Brennstoff für den Eigenbedarf gebunkert.

„Wie sicher ist die Deutsche Bucht?“fragte die GAUSS, die Bremer Gesellschaft für angewandten Umweltschutz und Sicherheit im Seeverkehr, am Freitag auf einer Fachtagung an der Bremer Hochschule für Nautik. Gut 100 Kapitäne, Lotsen, Beamte aus dem Verkehrsministerium und Wasserwirtschaftsämtern und Umweltschützer kamen. An einer Podiumsdiskussion nahmen auch einschlägig engagierte Politiker wie Ex-Hafensenator Konrad Kunick (SPD), die Europaparlamentarierin Brigitte Langenhagen (CDU) und die Verkehrsexpertin der Bundesgrünen, Gila Altmann, teil.

Nun hätte der Uneingeweihte Diskussionen über doppelschalige Schiffsrümfe, Helikopterüberwachung, Eskortierungspflicht bei großen Schiffen, eine europäische Coast-Guard o.ä. erwartet. Doch im Vordergrund stand nur ein einziger dicker Zankapfel: der schwerwettertaugliche Hochseeschlepper Oceanic. Dieser Schlepper, der einen manövrierunfähigen, bis zur Ladeluke vollen 250.000-Tonnen-Supertanker selbst bei Starkwind noch bewegen kann, liegt seit Jahren vor Helgoland stand-by. Und kostet. Er ist einer der stärksten Hochseeschlepper Nordeuropas, wurde 1996 als Reaktion auf die verheerende Havarie der Sea Empress vor der walisischen Küste kurzfristig gechartert und kostet täglich 16.500 Mark. Zu teuer, findet der Schleppermieter, der Bundesverkehrsminister. Sein Vertreter, Christoph Hinz, wies auf der Tagung darauf hin, daß in der Deutschen Bucht ab 1998 ausreichend Notschlepp-Kapazität vorhanden sei: Wenn neben der Mellum das neue Mehrzweckschiff Neuwerk in Dienst genommen würde. Beide zusammen kommen auf die Schleppleistung des Spezialisten.

Der Protest gegen das Sparprogramm der obersten Verkehrsbehörde war fast einhellig. Nicht nur der Kapitän der Oceanic hielt sich und sein Schiff für unverzichtbar. Der BUND warf sich für die Oceanic ebenso in die Bresche wie die kleine Hooksieler Initiative „Wasser ist Leben“. SPD und Grüne demonstrierten ausdrücklich Koalitionsfähigkeit in dieser Frage. Konrad Kunick: „Der Schlepper muß sein!“Gila Altmann: „Der Schlepper muß sein!“Sechs Millionen im Jahr seien „ein Appel und ein Ei“gegenüber Schäden, die eine Havarie dem Tourismus an der Küste zufügen würden. Altmann: „Ökologie ist keine Folklore!“

(Ehemalige) Besatzungsmitglieder der Mellum fühlten ihre „Seemannschaft“allerdings angetastet und ihr Schiff beleidigt. Und gegen den Strich ging das Gespräch auch den anwesenden Lotsen, zu deren Selbstverständnis gehört, daß sie jederzeit alles im Griff haben. Auch die beiden Beinahe-Havarien zweier Norwegischer Supertanker in der Elbe zu Beginn des Jahres hätten mithilfe erfahrener Lotsen und einer qualifizierten Schiffsbesatzung (sowie, das muß hinzugefügt werden, bruchfester Ankertrossen) gehandlet werden können. Ohne Schleppereinsatz.

Letztlich geht es bei worst cases um die jeweilige (interessengeleitete) Interpretation von Statistiken, um Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die sparsame Behörde sagt, die Deutsche Bucht sei durch Überwachung, Verkehrstrennungsgebiete, Navigationsunterstützung und gesetzliche Regelungen heute sehr sicher; die niedrige Unfallrate gebe ihnen recht. Die Oceanic-Befürworter sagen, es gelte Murpheys Gesetz, nach dem, wenn ein Supertanker Probleme hat und Schwerwetter herrscht, mindestens eins der beiden Mehrzweckschiffe beim Eisbrechen in der Ostsee ist. Die Grüne Altmann formulierte den nachdenkenswerten Satz: „Auch ein Einzelfallereignis kommt vor. Ein Flugzeugabsturz zum Beispiel. Oder ein Lottogewinn.“ BuS