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Marmor Stein und Eisen BrechtAlles, was Brecht ist

■ Eine Wortmeldung zum 100. Geburtstag

Amerika ist im Krieg. Eine kleine Bar in der Third Avenue. Beim Bier: Klaus Mann und Bertolt Brecht.

BB: Ein komischer Platz!

KM: Sehr new-yorkerisch.

BB: Sehr traurig, diese Leute.

KM: Sehr nordamerikanisch.

BB: Amerika! Vor dem Erscheinen von Kafkas „Amerika“ hat es Amerika nie gegeben. Sie haben den Wink verstanden, und jetzt fängt's an, Kafkas Amerika zu ähneln.

(Beide bestellen Bier.)

BB: Dein Vater war immer morbide. Er bezieht seine Inspiration aus Fäulnis und Verwesung! Dieser gequälte Symbolismus! Das Vergessen der sozialen Wirklichkeit. Fleisch und Blut, Hunger und Gier werden vergessen, im Namen dieses intellektuellen Schwindels geopfert.

KM: Mein Vater war ein Freund Hermann Hesses.

BB: Noch so ein bürgerlicher Mystiker! Jugendstil! Kein sozialer Zusammenhang. Kein Gespür für den Ansturm der Geschichte. Kein Bewußtsein für das Unvermeidliche.

(Brecht bestellt noch ein Bier. Seine Fingernägel sind schmutzig.)

BB: Und was Rilke angeht, so verabscheue ich ihn. Rilke ist schlimmer als dein Vater, der wittert wenigstens die Fäulnis. Aber Rilke – Art-nouveau-Panther und Hortensien!

KM: Welches deiner Stücke ist dir am liebsten? Erika spielt mit dem Gedanken, eines deiner Stücke im Chanin aufzuführen.

BB: Baal.

KM: Baal!

(Brecht geht auf die Herrentoilette.)

BB: Sag mal, Klaus, entre nous, ist unser zauberhafter Freund Adolf homosexuell?

KM: Das ist mir nie in den Sinn gekommen.

BB: Ich wette, in seinen Träumen tobt sich seine Phantasie manchmal aus. Ich habe den Verdacht, daß unser lieber Adolf eine Anlage zum Pädophilen hat.

(Brecht schaut mit zufriedenem Grinsen in den Spiegel und hebt mit seinen derben Händen das Bierglas zum Mund.) Volker Frick (Dichter, lebt in Münster) Foto: privat

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