Trudelndes Wässerchen im Aquarium

■ Menschen lieben Kühlschränke und lösen ihre Sprache auf: Gerardjan Rijnders hat am Schauspiel Bonn das szenische Projekt „Malstrom“ nach Edgar Allen Poes Erzählung realisiert

„Was war denn das für ein Gefühl?“ – das ist der erste Satz des Abends. Aus dem Dunkel dämmert langsam das Gesicht, die Hand, der Körper einer am Tisch sitzenden Frau auf, zunächst in einen punktgenauen Lichtstrahl aus der Bühnenhöhe gefaßt, dann im Kreuzungspunkt dünner Lichtspeere. Der Tisch ist bedeckt und umringt von alltäglichem Krimskrams, ein Telefon, ein Weinglas, ein Teddybär, ein Mantel.

„Wenn ich mir überlege, was ich alles schon gesehen habe“ ist der zweite Satz – Theater als Erinnerung. Die Frau sitzt vor einer gigantischen Kitschkulisse: riesige weiße Säulen um eine schwarz- weiße Bodenfläche, die wie Marmor spiegelt. Die sich kreuzenden Lichtbalken davor machen den Anfang des Abends zur Parodie auf den alten „Twentieth Century Fox“-Trailer. Hinter den Säulen hört man Stimmen, die Säulen bewegen sich, weitere Schauspieler kommen auf die Bühne, jeder mit einem Satz.

Gerardjan Rijnders geht von der Individualität zur Pluralität, von der Konzentration zur Diffusion. Aus der Reduktion wächst die verknäulte, verquastete Struktur simultaner Sätze und Bewegungen. Repetition strukturiert hier nicht die Form, sondern nähert das Bühnengeschehen der Ungeordnetheit alltäglicher Wahrnehmung an. Jeder Schauspieler spricht nur ein Textfragment und ist mit seinem Körper und seinen Bewegungen nur ein Bruchteil im Gesamttext der Aufführung.

Rijnders montiert mit den Schauspielern Textfetzen, Fundstücke aus dem „Aquarium der Erinnerung“, Bruchstücke der absurden Kommunikation des Alltags wie „Ich hab' mich in den Kühlschrank verliebt“ oder in ihrer Banalität erhellende Dialoge wie „Willst du meine große Liebe sein?“ – „Ja. Wie lange?“ oder zynische Sinnsprüche wie „Du wirst als Untertasse geboren, zur Untertasse erzogen, und das in einer Welt, in der sich alles nur um die Tassen dreht.“

Für Bonn hat Rijnders ein Projekt realisiert, in dem er seiner seit Jahen schon erprobten Arbeitsmethode folgte: Montage von Texten und szenische Collagierung gemeinsam mit einer Schauspielertruppe im Probenprozeß. Das Schauspiel Bonn bemüht sich seit einigen Jahren, internationalen Regisseuren solche Projekte zu ermöglichen und will damit Arbeitsweisen freier Gruppen ins Stadttheatersystem integrieren. Nach Janusz Wisniewski und Jeremy Weller ist Rijnders der dritte Projektgast. Die Aufführung seines ähnlich angelegten Stückes „Count your Blessings“ war Höhepunkt der Bonner Biennale 1994.

Seine neueste Arbeit nennt er „Malstrom“ nach Edgar Allan Poes Erzählung über den schiffeverschlingenden Strudel, den „Moskenstraum“, südlich der norwegischen Lofoten-Inseln. Die wirbelnde Drehung, der brodelnde Schlund, der schäumende Sog, der Malstrom des Lebens, aus dem Poes Erzähler sich gerettet hat, bleibt diesmal in Bonn aber ein plätschernder Kreislauf, ein trudelndes Wässerchen, das kaum Schwindel erregt.

Ganz im Gegensatz zur brennenden Intensität von „Count your Blessings“ gelingt es Rijnders mit den Bonner Schauspielern diesmal nicht, seinen „ausgefransten Echos“, seinen gerahmten Sprachfetzen entsprechende visuelle und körperliche Bilder entgegenzustellen. Daß einmal ein Schauspieler auf einer riesigen Pferdeattrappe vorbeireitet und „You've lost that loving feeling“ krächzt, ist eher das Eingeständnis einer Bilderarmut als deren Überwindung. Auch akustisch bleibt es bei fetter, süßer Sauce (Andrea Bocellis „Con te Partiro“) und dumpfer, roher Gewalt (Einstürzende Neubauten „NNNAAAMMM“). Und was sprachliche „Splitterbomben“ sein sollten, sind auch nur feuchte Knallfrösche.

Rijnders Methode, sein Konzept eines Theaters, das die Wahrnehmungsstruktur des Alltags zu avancierten Kunstmitteln verarbeitet, sein Konzept eines avantgardistischen Theaters, in dem auch die Sprache ihren genauen Ort hat, ist bewährt und vielversprechend. Diesmal scheint es aber im gut gepflegten Schaubassin des deutschen Stadttheaters abgesoffen zu sein. Gerhard Preußer

„Malstrom“. Schauspiel Bonn (Halle Beuel). Inszenierung: Gerardjan Rijnders. Bühne: Paul Gallis. Mit: Monika Kroll, Timo Berndt. Weitere Vorstellungen am 3., 10., 13., 14., 15., 28. 2.