■ NRW-SPD bleibt nach ihrem Parteitag im Schwebezustand
: Strahlender Sieger mit Illusionen

Der Nebel über den künftigen Kurs der SPD in NRW scheint nach dem Parteitag in Dortmund in Richtung Rot pur gelichtet. Doch der Schein trügt. Darüber kann auch nicht der strahlende Wahlsieg von Wolfgang Clement hinwegtäuschen. Mit Gabriele Behler wurde zwar eine Wortführerin der sozialdemokratischen Rot-Grün-Befürworter brutal abgestraft, aber die Festlaune der Traditionalisten um Fraktionschef Klaus Matthiesen dürfte nicht lange Bestand haben. Wer – wie Matthiesen & Co. – noch immer glaubt, der Verlust der absoluten SPD-Mehrheit in NRW sei quasi eine Art Betriebsunfall und durch die nächsten Landtagswahlen zu heilen, der führt die SPD direkt in die politische Sackgasse.

Eine solche Strategie grenzt an politischem Abenteurertum. Sie macht die SPD blind für die notwendigen Korrekturen, die sich aus der gesellschaftlichen Auflösung althergebrachter Milieus ergeben. Was ein Johannes Rau, der weitaus populärste Sozialdemokrat in NRW, 1995 nicht mehr schaffte, kann einem Nachfolger – ganz gleich, wie er hieße – nicht gelingen. An dieser schlichten Wahrheit, die sich aus allen Meinungsumfragen deutlich herauslesen läßt, kommen auch die Rot-pur-Anhänger nicht vorbei.

Im ureigensten Interesse der SPD ist es deshalb, bei der praktischen Politik dieser Lage Rechnung zu tragen. Auch das Führungspersonal muß deshalb koalitions- und kompromißfähig sein, will man die Regierungsmacht in Düsseldorf wahren und Kohl in Bonn ablösen. Wer sich in der Rolle des Alleinherrschers gefällt, ist dafür ungeeignet. Diese Lektion muß vor allem Wolfgang Clement schnell lernen. Schafft er es nicht, dem grünen Koalitionspartner künftig auch bei harten wirtschafts- und verkehrspolitischen Themen die Luft zum Atmen zu lassen, katapultiert er sich als potentieller Nachfolger von Rau selbst aus dem Rennen. Das Beispiel Voscherau läßt grüßen.

In der jetzigen Verfassung, dürfte Clement eine Mehrheit bei der grünen Landtagsfraktion für die Wahl zum Ministerpräsidenten kaum finden. Ein Stabwechsel von Rau zu ihm noch vor der Bundestagswahl böte deshalb reichlich Stoff für neue rot- grüne Krisen. Sollte sich nach der Wahl in Niedersachsen bundesweit die Waage in Richtung Rot-Grün neigen, käme nichts ungelegener als dies.

Ein Szenario, das sich auf zweierlei Weise verhindern ließe: Entweder durch einen glaubwürdigen rot- grünen Neuanfang – mit Wolfgang Clement an der Spitze. Oder durch Vertagung des Rau-Rücktritts – zumindestens bis nach der Bundestagswahl. Im Moment spricht mehr für die zweite Variante. Walter Jakobs