Schiffe, Seelen, Licht und Spuk

■ Spielerische Lichthymnen: Lyonel Feininger in der Hamburger Kunsthalle

Der bekannte Meister strichhafter Verräumlichung und prismatischer Brechung gehört zum populären Schatz deutscher Kunst. Doch Lyonel Feininger war Amerikaner, 1871 in New York geboren und 1956 dort gestorben. Wie seine Eltern sollte er auch Musiker werden, entschloß sich jedoch mit 16 Jahren, statt in Leipzig Violine zu studieren, dazu ausgerechnet in Hamburg an der Allgemeinen Gewerbeschule Zeichnen zu lernen. Hier hatte er auch 1888 seine erste Ausstellung mit 13 Zeichnungen. Doch schon ein Jahr später zog er nach Berlin, bis 1937 blieb Deutschland sein „Adoptiv-Vaterland“.

In der Hamburger Kunsthalle hat der junge Zeichner damals die Bilder des dänischen Marinemalers Anton Melbye bewundert. Da diese Begeisterung für das Seestück sein ganzes Werk durchzieht, beginnt die Ausstellung des graphischen Werks unorthodox mit einem dreifachen Verweis auf diese Malerei.

Erstmalig ist in dieser Ausstellung die komplette „Stadt am Ende der Welt“zu sehen, ein hölzernes Spielzeugmodell eines skurril-romantischen deutschen Städtchentraums. Unter den 170 Katalognummern leider zu vermissen sind Beispiele der Comic-Erfindung „The Kin - Der Kids“, die Feininger für die Chicago Sunday Tribune zeichnete.

Feiningers Werk ist wesentlich durch seine zwanzigjährige Tätigkeit als Karikaturenzeichner geprägt, er selbst bezeichnet diese Zeit als wichtige „Disciplinierung“. Denn die klare Linie des Federstrichs wurde dem Künstler durch den damals keine Halbtöne kennenden Illustriertendruck aufgezwungen. Erst nachdem Feininger als boshafter und geradezu stilbildender Karikaturist erfolgreich war, beginnt sein übriges Werk zwischen spielerischer Leichtigkeit und fast religiöser Andacht. Doch all zu lichthymnischen Bildvollendungen entzieht sich Feininger immer wieder durch die ironische Adaption des Stiles von Kinderzeichnungen. Dabei ist der 1919 zum Bauhausmeister ernannte Künstler nie von expressionistischer Spontaneität. Keines seiner Bilder ist ohne gezeichnete Vorlage gemalt und auch die Zeichnungen selbst werden über Kompositionsskizzen zu fertig abgeschlossenen Werken.

Für sieben Jahre als Meister der graphischen Werkstatt am Bauhaus zählt er eher zur traditionellen Linie dieser Kunstinstitution. Statt Großstadtdynamik und Maschinenwelten beeindrucken ihn die romantischen thüringischen Altstädte wie Weimar und Halle, dessen enge Gassen er in Bilder faßt und mit spukhaften Figuren bevölkert. In seinen Werken von Kirchtürmen oder einsamen Segelschiffen auf weitem Meer, zeigt sich im modernen Gewand ein tiefer Romantiker. Und wo dem kaum gebrochenen Pathos dieser Bilder noch die Personage kindlicher Traumwelten hinzugefügt wird, entsteht genaugenommen ein moderner Historismus. Als erklärtem Gegner von seelenlosem Technizismus, von Kubisten und Konstruktivisten haftet seinem kindlich inspirierten Bildwitz und seinen genuinen Formfindungen so immer etwas Idyllisch-Sentimentales an. Und genau das dürfte ihn auch so populär machen. Hajo Schiff

Kunsthalle, bis 5. April, danach Kunsthalle Tübingen, Katalog, 240 S., 39 Mark