SPD eiert zum Lauschangriff

■ SPD-Chef Lafontaine will Bremen für einen Kompromiß zum Großen Lauschangriff gewinnen. Irritationen in Niedersachsens SPD

Bonn (taz) – Drei Tage vor der Entscheidung über die Grundgesetzänderung zum Großen Lauschangriff im Bundesrat summt es bei der SPD wie im Bienenschwarm. Nachdem SPD-Chef Oskar Lafontaine den Kompromiß mit der Koalition aufgekündigt und sich dafür stark gemacht hat, auch Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte von der akustischen Überwachung auszunehmen, jagt ein Gerücht das nächste: Will SPD-Chef Oskar Lafontaine nur die Koalition vorführen? Oder will er die SPD links von der CDU positionieren? Oder geht es etwa um eine neuerliche Abgrenzung zu seinem Konkurrenten, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, der den Großen Lauschangriff befürwortet? Oder rettet gerade die Aufkündigung des Kompromisses den Großen Lauschangriff?

Bei der SPD stehen nun einige mit langen Gesichtern da. Otto Schily, der als Verhandlungsführer der SPD den jetzigen Kompromiß mit der Koalition unter großen Schwierigkeiten ausgehandelt hat, ist düpiert. Bis zur Entscheidung am 6. Februar im Bundesrat will er sich nicht äußern. Die niedersächsische Staatskanzlei und das Landesinnenministerium sind über die jüngste Entwicklung überrascht. Es war eigentlich schon alles geklärt, heißt es. Alle Beschlüsse waren gefaßt, die Fraktion habe sich erklärt, der Parteivorstand, das Präsidium. Der gefundene Kompromiß sei erträglich, wenn auch nicht voll befriedigend, aber welcher Kompromiß sei das schon. Nach dem bisherigen Kompromiß sind allein Pfarrer, Abgeordnete und die Gespräche von Strafverteidigern mit ihren Mandanten von Lauschangriffen ausgenommen.

Vereinzelt heißt es in Niedersachsen: „Das ist eine komische Nummer.“ Und: „Das hat schon etwas Unehrliches, daß Lafontaine so lange gewartet hat.“

Andere sehen Lafontaines Vorgehen allerdings als eine taktische Maßnahme, um dem Bremer Bürgermeister Henning Scherf seine Zustimmung zur Grundgesetzänderung zu erleichtern und damit den Großen Lauschangriff zu retten. Beim SPD-Parteitag in Hannover hatte Scherf erklärt, er wolle den Großen Lauschangriff gänzlich verhindern. Wenn Scherf bei seiner unnachgiebigen Haltung bliebe und Bremen am Freitag im Bundesrat der Grundgesetzänderung nicht zustimmte, wäre der Große Lauschangriff ganz vom Tisch. Lafontaine wolle Scherf daher seine Zustimmung zur Grundgesetzänderung durch Zugeständnisse bei der Ausgestaltung des Großen Lauschangriffs abhandeln. Konkret ist vorgesehen, daß Bremen der Verfassungsänderung dann zustimmt, wenn sich die sozialdemokratisch und rot-grün regierten Länder zuvor darauf geeinigt haben, in einem Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat nachzubessern. Ob es dann tatsächlich zu Änderungen im Sinne der SPD kommt, ist aber fraglich. Voraussichtlich könnte die Koalition das Vermittlungsergebnis im Bundestag mit der Kanzlermehrheit überstimmen.

In der SPD-Fraktion heißt es, Lafontaines Vorgehen wirke zwar irritierend, weil die SPD im Bundestag schließlich erst vor kurzem zusammen mit der Koalition den Großen Lauschangriff verabschiedet habe. Er sei damit aber lediglich der Aufgabe des Parteivorsitzenden nachgekommen, die Ministerpräsidenten der Länder und die Mehrheit der Fraktion in Einklang zu bringen.

Im Gegensatz zu den Äußerungen aus der niedersächsischen Staatskanzlei und dem Innenministerium scheint Gerhard Schröder, der den mit der Koalition getroffenen Kompromiß zum Großen Lauschangriff akzeptiert, mit Lafontaines Vorgehen einverstanden zu sein. Kolportiert wurde in Bonn, Schröder habe gesagt, der SPD- Chef verhalte sich ergebnisorientiert. Es komme darauf an, die Mehrheit im Bundesrat für die Grundgesetzänderung zu bekommen. Wie, das sei letzten Endes egal. Markus Franz

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