Frauen fordern Ächtung der afghanischen Taliban

■ Eine Ärztin aus Kabul berichtet in Brüssel von der täglichen Unterdrückung. Internationale Ölkonzerne sollen durch öffentlichen Druck von ihren geplanten Geschäften abgebracht werden

Brüssel (taz) – In einer ungewöhnlichen Pressekonferenz hat eine Ärztin aus Kabul gestern in Brüssel die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen aufgerufen, endlich Maßnahmen gegen die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan zu ergreifen. Im Presseraum der EU-Kommission, wo sonst die Sprecher der europäischen Verwaltung kühl ihre Kommuniqués vortragen, schilderte die verschleierte Frau mit leiser Stimme, wie sich das Leben in ihrem Land seit der Machtübernahme der Taliban verändert hat.

Während die Welt teilnahmslos zusehe, beraubten die Taliban die Frauen, also die Hälfte der afghanischen Bevölkerung, der fundamentalen Menschenrechte. Sie dürfen nicht mehr arbeiten, nicht mehr ohne Begleitung von Vater oder Bruder auf die Straße gehen, nicht einmal mehr laut reden. Die medizinische Versorgung ist zusammengebrochen, da bis 1995 60 Prozent der Ärzte Frauen gewesen waren. Weil sie ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen, sind viele Frauen von jeder medizinischen Versorgung ausgeschlossen. Denn der Kontakt mit fremden Männern, also auch Ärzten, ist ihnen verboten.

„Es geht nicht um Religion, nicht um Kultur und nicht um Traditionen“, sagte die Ärztin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte. „Es geht schlicht um Mißbrauch der Macht.“ Die Pressekonferenz war die erste einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen auf die Situation in Afghanistan aufmerksam machen wollen. Angestoßen vom Europäischen Parlament, haben 50 international bekannte Frauen von Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams bis zur EU-Kommissarin Emma Bonino die Kampagne „Eine Blume für die Frauen von Kabul“ ins Leben gerufen. „Wir wollen Druck auf die westlichen Regierungen machen“, sagte die frühere Frauenrechtsaktivistin Bonino, „damit sie die Taliban-Regierung auf keinen Fall anerkennen.“ Zudem sollten Ölkonzerne durch öffentlichen Druck davon abgehalten werden, Geschäfte mit den Taliban zu machen.

Bonino war im vergangenen September in Kabul selbst für einige Stunden festgenommen worden, als sie die Verwendung europäischer Hilfsgelder kontrollierte. Der Grund: Mitgereiste Kamerateams filmten in einem Krankenhaus auch Frauen, was nach den neuen Gesetzen der Taliban verboten ist.

In der ihr eigenen Art, Politik zu machen, hatte Bonino es offensichtlich auf den Konflikt angelegt, um das Interesse der Medien auf die Situation in Afghanistan zu lenken. Afghanistan sei das einzige Land, in dem das Gesetz die Diskriminierung von Frauen vorschreibe, erklärte sie gestern in Brüssel. Das sei „Geschlechter- Apartheid“. Alois Berger