Gediegen holzvertäfelt

Der Film zum Buch: Sönke Wortmann verfilmt „Der Campus“  ■ Von Florian Wolfrum

Sönke Wortmann hat einen der erfolgreichsten deutschen Romane der letzten Jahre verfilmt, einen grotesken Universitätsroman, der erstaunlich witzig und polemisch zugleich ist, geschrieben von einem, der das Unimilieu seit Jahrzehnten kennt. Das Erfrischende dieses Buches liegt nicht zuletzt in seiner ungewöhnlichen Hemmungslosigkeit begründet: Dietrich Schwanitz plagiiert und kolportiert hemmungslos, übertreibt hemmungslos und läßt seiner Lust an ungeheuerlichen Vergleichen und Metaphern hemmungslos ihren freien Lauf. Er scheut nicht vor plattem Slapstick zurück, läßt kein Klischee aus und erst recht keine Möglichkeit zum Rundumschlag gegen den Zeitgeist oder das, was ihm als solcher erscheint. Dabei werden die Mittel der literarischen Groteske äußerst kalkuliert eingesetzt: Der Roman vertritt nämlich keine geringere These als die, daß die deutsche Universität auf den Hund gekommen sei, und er vertritt sie im Ernst. Hätte Schwanitz versucht, diese These in einen seriösen, realistischen Roman zu verpacken, hätte er allen Ernstes den Verfall des intellektuellen Niveaus, die zunehmende Verwahrlosung, die grassierende Ideologisierung und die Verrohung der Umgangsformen angeprangert, es wäre ein larmoyantes und peinliches Machwerk dabei herausgekommen. So ist es ein Buch geworden, das auf verschiedenen Ebenen lesbar ist: vergnüglich für den, dem es nur um Lesevergnügen geht, und verstörend für jeden, der das Körnchen Wahrheit hinter der grotesken Einkleidung sucht. Wo die Groteske aufhört und der Anspruch auf Wahrheit anfängt, dieser Frage darf jeder selbst nachgehen – und natürlich der Frage, ob Schwanitz' Diagnose zutrifft. Eine Übung, die sich für an Hochschulen Lehrende ebenso lohnt wie für Lernende und gelernt Habende.

Daß Sönke Wortmann ein derart doppelbödiges Stück Literatur in einen ähnlich doppelbödigen Film umsetzen würde, hat wohl niemand von ihm erwartet. Die Spannung zwischen grotesker Überzeichnung und gezielter Polemik zu halten, hätte vorausgesetzt, einen Inszenierungsstil zu finden, der ähnlich schrill und schrullig ist wie Schwanitz' literarischer Stil und dennoch nie in den bloßen Klamauk abgleitet – ein Drahtseilakt, für den der deutsche Film nicht mal ein tragfähiges Seil hat.

„Irgend etwas war mit den deutschen Filmemachern und Schauspielern nicht in Ordnung. Eine kollektive Seuche hatte sie unfähig gemacht, Konflikte darzustellen.“ („Der Campus“, Seite 230)

Wortmann hat das Groteske und Polemische sorgfältig aus seiner Inszenierung verbannt und läßt seine Darsteller agieren, wie sie es in der deutschen Filmkomödie der 90er Jahre eben tun. Er raubt damit der Geschichte von Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach), der über die Affäre mit einer Studentin ins Schleudern gerät, ihr stilistisches Prinzip und dem Schwanitzschen Unimilieu seine vom Irrwitz geprägte Atmosphäre. Freilich übernimmt er kaum verändert viele Szenen und Dialoge des Romans, um sie in hektischen Schnitten, die das Aufkommen jeglicher Spannung zwischen den Figuren verhindern, aneinanderzumontieren.

„So krümmte er sich jetzt vor Schmerzen und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die sinnlosen Sequenzen, mit denen die Regisseure Zelluloid zu schinden suchten.“ (Ebenda)

Daß das Ergebnis hölzern bis zur Unerträglichkeit geworden ist, kann nicht verwundern, und Wortmanns Versuch, die auseinanderfallenden Szenen zu kitten, indem er die Sprechpausen mit einer klebrigen Musiksoße füllt, verschlimmert das Ganze nur. Zum Glück kommt die gekonnt verschlungene Intrige, die sich als unzerstörbar erweist, bald in Fahrt. Zum Glück sind auch die schauspielerischen Leistungen, bis in die Nebenrollen, durchweg solide. Was Heiner Lauterbach als Professor Hackmann durch allzu glatte und routinierte Darstellung vermissen läßt, gleicht sein Gegenspieler Axel Milberg in der Rolle des intriganten Konkurrenten Bernie Weskamp bravourös aus; und wo Barbara Rudnik als Frauenbeauftragte Dr. Wagner durch Blässe langweilt, da bemüht sich Sandra Speichert als Babsie um Intensität.

Wie aber ist die Universität, Sönke Wortmann zufolge? Vor allem ist sie voller gediegener Holzvertäfelungen, vor denen die Protagonisten die längste Zeit des Films über agieren. Freilich hat Wortmann für diese Meisterleistung des production design nicht nur Räume der Universität verwenden können. Für die Sitzung des Disziplinarausschusses, der dem Helden den feministischen Schauprozeß macht, war nur der Hörsaal des Museums für Völkerkunde gut genug, der nach Wortmann „an die ehrwürdigen Säle im englischen Parlament“ erinnert. Die „schweinische Brutalität der Graffiti auf dem Hamburger Campus“ (Schwanitz) wird in hübsche Spraykunstwerke verwandelt, und wo Schwanitz den nahtlosen Übergang von der verslumten Bahnhofsgegend zur nicht weniger verslumten Universität propagiert, zeigt Wortmann zwei Welten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Dort eine Hölle aus Kranken, Irren und Pennern, hier das ehrwürdige Ambiente – was eigentlich hat Wortmann gegen die Hamburger U-Bahn und den Hauptbahnhof?

Er hat nichts gegen sie, es stand nur so im Buch. Der Film, der weder grotesk ist noch in ironische Distanz zu seinen Klischees findet, verkauft Schwanitz' grelle Überzeichnung für bare Münze. Und das passiert auch unvermeidlich mit den politischen Implikationen des Romans. Die karrieregeile Feministin, die aus ideologischer Blindheit Beruf und Privatleben eines angesehenen Wissenschaftlers zerstört, ist um so problematischer, je biederer und realistischer sie gezeichnet wird. Ebenso der gediegen konservative, hilfsbereite Verleger eines Boulevardblattes, der den unschuldig verfolgten Helden zu guter Letzt rehabilitiert. Schwanitz kann das Liebäugeln seines Helden mit dem stockkonservativen Establishment mit seiner tiefen Enttäuschung erklären über das, was aus der 68er Bewegung geworden ist – das ist Polemik, aber sie wird mit offenem Visier geführt und gut untermauert. Wortmanns Film will gar nicht polemisch sein, sondern bloß Komödie, er kann nichts begründen und will nichts attackieren und gerät gerade deshalb zur dümmlichen Diffamierung. Warum müssen deutsche Filme so sein?

„Das war es, was er an den deutschen Regisseuren so sehr haßte. Sie fürchteten den Dissens, den Streit, den Konflikt, sie appellierten nur an das Einverständnis des Publikums.“ (Ebenda)

„Der Campus“. Regie: Sönke Wortmann. Mit Heiner Lauterbach, Axel Milberg, Sybille Canonica, Barbara Rudnik, Sandra Speichert. D 1997, 120 Min.