Chronik der Winterspiele (I.), (II.), (III.)

London 1908. Die ersten Olympischen Winterspiele finden in dem berühmten Wintersportort London statt. Einziger Wettbewerb: Eiskunstlaufen. Das Traumpaar jener Jahre, Annie Hübler – der 1996 eine Briefmarke gewidmet wurde – und Dr. Heinrich Burger, siegt souverän. Bei den Männern gewinnt der Schwede Ulrich Salchow, benannt nach dem gleichnamigen Sprung.

Antwerpen 1920. Zwölf Jahre liegen kriegsbedingt zwischen den ersten und den zweiten Winterspielen, die praktischerweise im Rahmen der Sommerspiele ausgetragen werden. Der überragende Eiskunstläufer ist der schwedische Architekt Gillis Grafström, der bei drei Olympischen Spielen die Konkurrenz beherrscht. Die „Winnipeg Falcons“ aus Kanada fegen die Tschechen beim Eishockey mit 15:0 weg.

Chamonix 1924. Die ersten vollständigen Winterspiele, bei denen „Eis-Nurmi“ Clas Thunberg aus Finnland unwiderstehlich über das Eis gleitet und mit dem dreifachen Sieger Thorleif Haug sogleich die Norweger die Macht im Langlauf übernehmen. Im Eishockey wirbeln diesmal die „Toronto Granites“, und die Dummen sind wieder die Tschechen (0:30). Kanada holt Gold mit dem Torverhältnis 110:3. Deutschland bleibt wie 1920 ausgeschlossen.

St. Moritz 1928. Ihren ersten olympischen Auftritt hat die berühmteste Eiskunstläuferin aller Zeiten, Sonia Henie aus Norwegen, die bei Fred Astaire tanzen lernte und ungeniert für Zigaretten warb. Der 16jährige US-Amerikaner Billy Fiske wird als Pilot des Fünferbobs der jüngste Olympiasieger und bleibt es, bis 1992 der einen Tag jüngere Finne Toni Nieminen Gold im Skispringen gewinnt.

Lake Placid 1932. Irving Jaffee aus New York holt sich im Eisschnellauf endlich das Gold, das ihm 1928 entging, weil im Wettkampf wegen eines Wärmeeinbruchs die Bahn wegtaute. Eddie Eagan schafft mit seinem Triumph im von Billy Fiske gesteuerten Viererbob als bisher einziger Sportler das Kunststück, bei Sommer- und Winterspielen zu gewinnen. 1920 siegte er als Boxer.

Garmisch-Partenkirchen 1936. Christl Cranz holt im Abfahrtslauf eine glatte Minute gegen die Britin Kessler auf, stürzt dann und gewinnt doch noch in der Kombination. Die Sensation der unboykottiert gebliebenen Nazispiele ist die 1:2-Niederlage der kanadischen Eishockeyspieler gegen – man glaubt es kaum – England, das sich die Olympiakrone sichert.

Chronik der Winterspiele (II.)

St. Moritz 1948. Barbara Ann Scott brilliert im Eiskunstlauf, wird aber fast von IOC-Vize Avery Brundage disqualifiziert, weil sie von ihrer Heimatstadt Ottawa ein Auto geschenkt bekam. Die 19jährige gibt es zurück, dennoch gratuliert ihr Vorgängerin Sonia Henie nicht zum Sieg. Scott wird danach Profi, um Brundage nicht mehr sehen zu müssen. In der Abfahrt siegt der frühere Résistance-Kämpfer Henri Oreiller.

Oslo 1952. Der finnische Langläufer Veikko Hakulinen gewinnt, schon 27jährig, die ersten von sieben Medaillen. Seine letzten Spiele bestreitet er 1964. Bobgoldpilot Anderl Ostler bringt mit seinen drei Kollegen 468 Kilo auf die Waage und sorgt dafür, daß eine Gewichtsbegrenzung eingeführt wird.

Cortina d'Ampezzo 1956. Erstmals unterbietet Sixten Jernberg im 50-km-Langlauf die Dreistundengrenze. Insgesamt gewinnt der Schwede bei drei Olympischen Spielen neun Medaillen, darunter vier goldene. Der Klingenthaler Skispringer Harry Glaß holt mit Bronze die erste DDR-Medaille. Star von Cortina ist jedoch Toni Sailer mit drei Siegen in Riesenslalom, Slalom und Abfahrt.

Squaw Valley 1960. Der Thüringer Helmut Recknagel macht den Händehochstil bekannt und gewinnt Gold im Skispringen, während Kombinierer Georg Thoma den Beruf des Postboten aufwertet. Fortgesetzt wird die Schlappenserie des kanadischen Eishockeyteams. In Cortina siegten die Sowjets, in Squaw Valley triumphiert die USA. Hans-Jürgen Bäumler und Marika Kilius begründen mit Silber ihre Karrieren als Schlagersänger und Frau Zahn.

Innsbruck 1964. Für Kilius/Bäumler gibt's wieder nur Silber. Gold gab's für die sowjetischen Eiskunstpaarläufer Oleg Protopopow und Ludmilla Belousowa. Oleg P. wird hierzulande zum Inbegriff des Bösen. Sein Name kann von jedem Bundesbürger fehlerfrei verächtlich ausgestoßen werden. Lidia Skoblikowa gewinnt alles Gold im Eisschnellauf.

Grenoble 1968. Jean-Claude Killy wird mit dreimal Gold Frankreichs Toni Sailer. Die DDR-Rodlerinnen werden mit heißen Kufen ertappt und disqualifiziert, nachdem sie die Plätze eins, zwei und vier belegt hatten.

Sapporo 1972. Österreichs Ski- Idol Karl Schranz darf kein Olympiagold gewinnen: Nachdem er bei drei Spielen zuvor nur einmal Silber gewonnen hatte, läßt ihn IOC-Chef Brundage sperren, weil er Kaffeewerbung betrieben hat. Der Eisschnelläufer Ard Schenk siegt nur dreimal, weil er über 500 Meter kurz vor dem Ziel stolpert. Yukio Kasaya versetzt Japan in einen Glückstaumel, als er auf der Normalschanze gewinnt.

Chronik der Winterspiele (III.)

Innsbruck 1976. John Curry zelebriert Eiskunst, Kollege Toller Cranston macht den geballten Kitsch medaillenfähig. Rosi Mittermaier gewinnt nicht den Riesenslalom, ein bäuerliches Kraftpaket aus Kärnten namens Klammer wird Österreichs Kaiser Franz, und Meinhard Nehmer begründet die DDR-Vorherrschaft im Bobsport. Kanada gewinnt wieder nicht im Eishockey, die BRD aber Bronze.

Lake Placid 1980. Eric Heiden holt fünfmal Gold im Eisschnelllauf und setzt seine kräftigen Oberschenkel später auch bei der Tour de France ein. Ulrich Wehling entscheidet zum dritten Mal die Nordische Kombination für sich, ebenso wie die holde Irina Rodnina den Eiskunstlauf. Die USA düpieren beim Eishockey den UdSSR-Wundersturm, und Ingemar Stenmark sagt kein einziges Wort. Aber: Wo ist Behle?

Sarajewo 1984. Ein farbloses englisches Paar offenbart große Grazie, sobald es Eis unter den Füßen spürt. Torvill/Dean werden zum Synonym für Bolero, so wie Katarina Witt vier Jahre später für Carmen. Auf der Großschanze triumphiert der 20jährige Finne Matti Nykänen, dem dies gar nicht gut bekommt.

Calgary 1988. „Eddie The Eagle“ führt den V-Stil in das Skispringen ein, Alberto Tomba eine gesunde Bonhomie in die älplerisch-verstockte Welt des Skisports. Vier jamaikanische Wagehälse stehlen den großen Bobfahrern aus der DDR, der UdSSR, der Schweiz und den USA die Show. Rodler Georg Hackl stellt nach eingehender Selbstuntersuchung fest, daß er „viel zu kurze Arme“ hat, wird aber dennoch zweiter.

Albertville 1992. Der Norweger Vegard Ulvang unterbricht seine Grönland- und Himalaya-Touren, um sich im Langlauf dreimal Gold und einmal Silber abzuholen. Auf den Eis dominieren Johan Olav Koss und die Neuen Länder, die Geschwister Duchesnay werden diesmal verdient Zweite im Eistanz. Die beste Show liefert ein weintrinkender Alberto Tomba beim Slalom. Rodler Hackls Arme sind nicht länger geworden, dennoch wird er diesmal Erster. Kanada wird wieder nicht Eishockey-Olympiasieger.

Lillehammer 1994. Bei grausliger Kälte äußert Super-G- und Riesenslalom-Sieger Markus Wasmeier unverständliche Laute. So oder so versteht keiner, warum er gewonnen hat. Wie nicht anders zu erwarten, holt der Rodler Hackl Gold. Katarina Witt hat Pech, weil sich alle nur noch für Tonya Harding interessieren. Kanada wird wieder nicht Eishockey- Olympiasieger. Matti Lieske