Der Designer als Übersetzer

Deko-Jokes sind absolut out. Die schrillen 80er ebenfalls. Braune Möbel mit Cremetönen kombiniert sind im Moment zwar totschick. Dennoch gilt: Ob Ikea-Schnäppchen oder Castiglioni-Designerleuchte – erlaubt ist in den eigenen vier Wänden sowieso alles  ■ Von Tanja Fiedler

Plötzlich, im vergangenen Herbst, war die ganze Wohnwelt nur noch Schoko mit Sahne. Anrichten und Sofas und Sessel und Regale und Kerzen und Handtücher und überhaupt das gesamte Wohnungsdesign kleidete sich in diese Farben, die vor ein paar Jahren noch als Synonym galten für die verpönte mentale Harmoniesucht und altwohnliches Spießertum.

Und jetzt das: In allen Schaufenstern der Design-Boutiquen stapelweise Braun kombiniert mit Cremetönen. Entzücken. Begeisterung. Kaufwut. Kult. Möbelmacher wie der Italiener Piero Lissoni erklärten: „Dunkles Holz liegt voll im Trend, besonders das afrikanische Wenge.“ Und die gesamte Szene der Inneneinrichtungsfetischisten nickte begeistert mit dem Kopf, obwohl kein Mensch wahrscheinlich weiß, was Wenge ist. Egal. Hauptsache Trend. Hauptsache Schoko mit Sahne.

Daß davor der internationale Zeitgeist nach den aufblasbaren Lampen und Vasen der Brit-Designer von Inflate verlangte und ohne Tom Dixons grellbuntem „Jack“, dem kreuzförmigen Ding zum Sitzen, Stapeln und Leuchten, gar nicht mehr wohnen wollte, ist fast schon wieder vergessen. Nichts ist bekanntlich im Warenparadies so sündig wie die Möbel von Gestern. Apropos, wer war eigentlich Philippe Starck?

Derweil arbeitet an den Kunsthochschulen der Republik der Design-Nachwuchs am möblierten Wohnen von Übermorgen. In Berlin bilden die HdK im Studiengang Produktdesign, Fachbereich Gestaltung, und die Schule in Weissensee aus. In Potsdam hat die Fachhochschule die Lehre übernommen. Entwürfe von den neuen Absolventen der HdK sind derzeit in der Berliner Galerie „designtransfer“ zu sehen. Unter anderem ein variantenreiches Sitzmöbel für zwei bis drei Personen. Auf den ersten Blick erinnert „sitdown“ an ein flaches, spartanisches Bett oder an einen etwas niedrigen, schlichten Tisch. Doch Teile der glatten Fläche lassen sich heben und senken, so daß mehrere bequeme „Sofaecken“ entstehen. „Ein Tisch ist ein Stuhl ist ein Schrank“ haben Frank Steinert und Vera Franke ihren Entwurf genannt. Die Verwirrung ist gewollt und die damit einhergehende Provokation auch. Die Zeiten seien eben vorbei, sagt Frank Steinert gelassen, „wo es nur um Spektakel geht“.

Das schreiende Design der 80er Jahre ist tot. Deko-Jokes absolut out. Sinn und Sinnlichkeit passen besser zur Grundstimmung der ins nächste Jahrtausend trudelnden Interieur-Insider-Zirkel. Als stetigen Produzent von neuen Trends und Marotten. „Wir nehmen nur gesellschaftliche Phänomene war, geben ihnen eine Form und reichen sie dann wieder an die Gesellschaft zurück. Wenn man so will, sind Designer Übersetzer.“

Trends, da ist sich Steinert mit seiner Kommilitonin Claudine Brignot einig, entstehen nicht einfach am Computer oder am Entwurfstisch. Möbel und die gesamte erweiterte Welt des bunten Schnick-Schnack reagieren eher auf Alltagssituationen und die Entwicklung von zwischenmenschlichen Beziehungen. „Gute Gestaltung ergibt sich allein durch den Inhalt“, sagt Claudine Brignot. Wenn der Inhalt fehlt, wenn das Stück nicht den Nerv der Zeit trifft, dann wird es auch nichts mit dem Shooting-Möbel, das in allen Wohnmagazinen und Shops Karriere macht. Insofern sind Formsachen wie die dreifüssige Orangensaftpresse oder die bequemen „Smarties-Cushion“ des Engländers Michael Young eher begleitende Kommentare zur Lage der Nation als futuristischer Wegweiser in ein neues Dasein.

Vor allem die Ökologie-Debatte hätte das Design der 90er Jahre geprägt, so Claudine Brignot. „Der Gebrauch und die Überlebensdauer der Dinge sind wichtiger geworden, als ihre reine materielle Geste.“ Konsequenterweise steckte Brignot ihre Diplomarbeit, den „Büstenfernseher“ auf Rollen, den sie mit Harald Gottschling entwarf, in ein auswechselbares Kleid aus Stoff und spezieller Pappe. Überhaupt, formuliert Frank Steinert vorsichtig, müsse man die Sache mit der vermeintlichen Trendsucht viel gelassener sehen. Grenzen setzt eher der eigene Geschmack als das Diktat der Stil- Wächter. Und daß im Rahmen der Design-Popularisierung sich inzwischen jedermann seine Castiglioni- Lampe auf den Tisch stellen kann beende endgültig das elitäre Gehabe der Freaks. Eigentlich, da sind sich die jungen Kreativen einig, ist mittlerweile fast alles erlaubt.

Vom „trendlosen Trend“ spricht dann auch Professor Hans (Nick) Roericht, der an der Hdk Entwurf lehrt. Und von der „Faszination des gleichzeitigen nebeneinander“. Schnäppchen von Ikea passen seiner Meinung nach ebenso zum Trend wie der durch reine Finanzkraft geförderte Hang zur teuren Designer-Ware. „Möbel“, sagt Roericht nüchtern, „sind doch nur Mittel zum Zweck. Aber der Trend interpretiert für uns die Welt in der wir leben. Erst wenn wir die Welt nicht mehr verstehen, werden wir seine Opfer.“