„Berufsverbot“ und „Hexenjagd“ und „Hysterie“

■ Grüne Spitzenpolitikerinnen in Bonn und Brüssel kritisieren selten Psychosekten, aber häufig die staatliche Reaktion darauf – insbesondere, wenn es um den Psychokonzern Scientology geht

Hamburg (taz) – Der Zeuge aus Amerika hat nicht allen gefallen. Robert Vaughn Young aus Seattle, vor zwei Tagen geladener Gast in der Bundestags-Enquetekommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“, ist der bislang hochrangigste Aussteiger der umstrittenen Scientology-Organisation. Er hat den Abgeordneten und Sachverständigen detaillierte Auskünfte über die politischen Ambitionen von Scientology gegeben. Da kennt er sich aus. Mehr als 20 Jahre war er Mitglied, zeitweise sogar führender Funktionär des Psychokonzerns. Als Pressechef der Organisation arbeitete Young in den 80er Jahren im engeren Umfeld von Sektengründer L.Ron Hubbard.

Youngs Aussagen über Ziele und Strategien der selbsternannten Kirche treffen aber auch in Deutschland einen empfindlichen Punkt – vor allem bei den Grünen. Spitzenpolitiker der Partei fordern seit langem, das Thema Sekten tiefer zu hängen. Von Beginn an taten sie sich schwer, die mit großer Mehrheit ins Leben gerufene Enquetekommission zu akzeptieren. „Wir wollten eine andere Kommission“, sagt die Grünen-Obfrau Angelika Köster-Loßack, „eine zur Zukunft der Arbeit“. Diesen Wunsch äußerte zu Beginn der Kommissionsarbeit auch die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer.

Das alles ist über ein Jahr her, und mittlerweile feilen die Kommissionsmitglieder an ihrem Abschlußbericht. Verschiedene Konflikte, die während der Kommissionsarbeit aufgetreten sind, erschweren auch das Verfassen der letzten, gemeinsamen Erklärung. Die Grünen haben ein ganz anderes Problem: die Handlungsanweisungen der Kommission. Beispielhaft dafür war ihr Widerstand gegen die – mittlerweile umgesetzte – Empfehlung, den Verfassungsschutz auf Scientology anzusetzen.

Prinzipiell, so die Forderung der Grünen, möge sich der Staat aus diesem Bereich weitestgehend heraushalten. Dabei greifen sie auch zu drastischen Formulierungen. So wollte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament, Claudia Roth, im Abschlußbericht des EU-Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten einen Passus in klassischer 70er-Jahre-Terminologie plazieren. Demnach ist in Deutschland „die besorgniserregende Tendenz zu beobachten, für Sektenmitglieder Berufsverbote für den öffentlichen Dienst zu erlassen“. Die Passage kam in dieser Form zwar nicht durch, aber im Abschlußbericht ist immerhin noch von „manchen Mitgliedsstaaten“ die Rede, in denen für Mitglieder von Sekten und Psychokulturen die „Aufnahme in den öffentlichen Dienst“ erschwert sei. Für Kenner der Materie ist das allerdings keine Abschwächung, denn: Außer in Deutschland gibt es nirgendwo sonst in Europa Zugangshürden für den öffentlichen Dienst. Und selbst hierzulande betrifft es nur Bewerber in Bayern.

Die Grünen-Politikerin Roth läßt sich bei ihrem Vorstoß „wohl von liberaldemokratischen Grundsätzen leiten“, vermutet die österreichische Euro-Abgeordnete Maria Berger, Berichterstatterin des Ausschusses. Eine Nähe zu Scientology oder einzelnen Scientologen spiele da „keine Rolle“. Für Antje Vollmer gilt das nur eingeschränkt. Bis heute läßt sie kaum eine Gelegenheit aus, Existenz und Arbeit der Enquetekommission in möglichst dunklen Farben zu zeichnen. Von „Ketzerjagden“ und „Hexenjagden“ sowie einer „Hysterie“ im Umgang mit dem Thema Sekten sprach sie jüngst.

Kirchlichen und staatlichen Sektenbeauftragten ist die promovierte Theologin Vollmer vor allem wegen ihres fulminanten Eintretens für den mit ihr befreundeten Maler, den Scientologen Gottfried Helnwein, suspekt. Vollmer leistete sich bei diesem Engagement eine „politische Geschmacklosigkeit sondergleichen“, sagt Ursula Caberta, Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in der Hamburger Innenbehörde. Auf Helnweins Überlegung, seinen Wohnsitz zu verlegen, hatte Vollmer einen historischen Vergleich gewagt: „Es kann nicht angehen, daß heute schon deutsche Künstler nach Amerika fliehen müssen.“

Diese Mahnung an das Schicksal von Brecht, Mann, Feuchtwanger und vielen anderen, die Nazideutschland verlassen mußten, ist nun auch für Grüne zuviel: „Eine dumme Aussage“, urteilt heute deren Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle, „unfaßbar vor der Erfahrung mit dem deutschen Faschismus.“ Rühle dementiert auch Vollmers Kritik an der Enquetekommission. Die arbeite „sehr sachlich“, davon habe sich Rühle selbst überzeugt. Auch im Hinblick auf den Vorstoß von Claudia Roth im Europaparlament drängt Rühle nun auf „Versachlichung der Diskussion – auf beiden Seiten“. Axel Kintzinger