Kleines Büro, großer Bahnhof

■ In Berlin wurde das Büro des American Jewish Committee eröffnet. Sorge wegen Neonazi-Gefahr

Berlin (taz) – Bis in den kargen Flur im sechsten Stock des Berliner Mosse-Palais ist Ignatz Bubis vorgedrungen. Dann steckt er in der Menge von Besuchern fest. Im dichten Gedränge zwischen Juden aus den USA und aus ganz Europa, zwischen Vertretern der Berliner Jüdischen Gemeinde setzt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland seine blaue Gebetskappe auf. Leise murmelt er das Gebet von Rabbi Andrew Baker mit, lauscht dem Gesang von Kantor Estrongo Nachama, Vater des Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde. Im Matsch südlich der ehemaligen Ministergärten, in unmittelbarer Nähe des von Baukränen umstellten Potsdamer Platzes, hat das American Jewish Committee (AJC) gestern sein Büro eröffnet. Als erste amerikanische jüdische Organisation installiert das AJC damit eine ständige Repräsentanz in Deutschland.

Das Büro des AJC befindet sich noch am Anfang seiner Arbeit, zwei Festangestellte werden hier die AJC-Arbeit für ganz Europa koordinieren. Über die konkreten Vorhaben sagt Baker, der Europadirektor des AJC: „Unser Programm wird sich erst allmählich entwickeln.“ Geplant sind derzeit Austauschprogramme für Deutsche in die USA und für US-amerikanische Juden nach Deutschland und in andere Länder Europas, Konferenzen über das deutsch-jüdische Verhältnis, die Unterstützung wissenschaftlicher Forschung zum Judentum und vor allem die Kooperation mit den jüdischen Gemeinden in Osteuropa.

Obwohl die endgültigen Vorhaben noch nicht feststehen, erfährt dieses Büro mehr Aufmerksamkeit als jede deutsche jüdische Organisation. Für die Eröffnung hat das AJC einen pompösen Veranstaltungsreigen auf die Beine gestellt – ein Mittagessen mit dem amerikanischen Botschafter John Kornblum und seinem israelischen Kollegen Avi Primor, einen Empfang bei Bundespräsident Roman Herzog und ein Galadiner mit Außenminister Klaus Kinkel.

Es trifft sich, daß dem AJC vom Projektentwickler für zehn Jahre mietfrei Räume zur Verfügung gestellt wurden – das Büro ist de facto eine Botschaft, die erste Botschaft amerikanischer Juden in Berlin. Einer Gemeinde, die allein aufgrund ihrer Größe auf die deutsche Politik mehr Einfluß nehmen kann als die kleine hiesige Gemeinde. „Wir sind unabhängig von der deutschen Regierung und stehen in keinem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu ihr“, sagt Baker.

Einflußreicher als die deutsche jüdische Gemeinde könne deshalb das AJC das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland begleiten. Baker führt als Beispiel die jüngst geregelte Entschädigung von Opfern des Holocaust in Osteuropa an. Vor allem auf Druck des AJC und der Jewish Claims Conference mit Sitz in New York hatte sich die Bundesregierung kürzlich bereit erklärt, einen Entschädigungsfonds einzurichten.

„Wir sind hier nicht zuletzt als Unterstützer der Deutschen, die dafür Sorge tragen, daß Deutschland den sehr hohen demokratischen Standards entspricht, die seine politischen Repräsentanten nach dem Krieg definiert haben“, erklärte gestern denn auch David Harris, der Executive Director des AJC in New York.

Vorsichtig formuliert er damit, was der Leiter des Berliner Büros, Eugene DuBow, bereits bei einem Berlinbesuch im Januar angesprochen hatte: die Sorge amerikanischer Juden angesichts der wachsenden Präsenz von Neonazis und rückwärtsgewandter Ideologien im wiedervereinigten Deutschland. Die strikten Sicherheitsvorkehrungen bei der gestrigen Eröffnung deuten darauf hin, daß auch die deutschen Gastgeber Schutz für geboten halten.

Andrew Bakers Kommentar: „Die Bundesrepublik macht das nicht für uns, sondern für ihre eigene Sicherheit.“ Barbara Junge

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