Eindeutig als Lesbe angegriffen

Erstmals liegen nach einer Fragebogenaktion Daten zu Gewalt gegen Lesben vor: Am häufigsten wurden sie verbal bedroht. Doch jede fünfte der Befragten wurde verletzt  ■ Von Julia Naumann

Ein ganz normaler Montag im Juli vergangenen Jahres. Aus dem SO 36 in der Oranienstraße kommen gegen drei Uhr nachts zwei Frauen, um draußen etwas Luft zu schnappen. Sie stehen etwa 20 Meter von dem Club entfernt auf der Straße, plaudern, umarmen sich, reden weiter. Plötzlich faßt ein Mann einer der Frauen von hinten zwischen die Beine, zwei andere machen sexistische Sprüche. Der Frau wird gegen die Brust getreten, sie bekommt einen Faustschlag ins Gesicht.

13 Straftaten, die sich gezielt gegen Lesben richteten, wurden dem Beauftragten der Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Jörg Riechers, in den vergangenen zwei Jahren zugetragen. In zehn Fällen handelte es sich dabei um gefährliche Körperverletzung. Doch die Dunkelziffer ist wesentlich höher. „Es gibt keine Erkenntnisse darüber, wie viele Lesben tatsächlich angegriffen werden“, sagt Riechers Stellverteter Burkhard Giseler. Doch mit der Auswertung einer Fragebogen-Aktion der Lesbenberatung liegen nun erstmals genauere Daten vor. Dies ist bundesweit die erste Studie. Von Oktober 1996 bis Oktober 1997 wurden Fragebögen zum Thema Gewalt gegen Lesben in Frauen- und Lesbenprojekten und während des Christopher Street Days verteilt. Insgesamt 84 Lesben haben sich beteiligt und rund 20 Fragen zu Ort, Tatzeit, Reaktion, Alter der Täter und Verhalten der Polizei beantwortet.

Alle Frauen gaben in dem Fragebogen an, daß die Gewalt „eindeutig auf ihr Lesbisch-Sein“ gerichtet war, daß sie als Lesben – meist zu zweit – erkannt und angegriffen wurden, sagt Karin Müller von der Lesbenberatung. Beispielsweise weil sie sich in der Öffentlichkeit küßten oder händchenhaltend durch die Straßen liefen. Oder sie wurden gezielt in der Privatsphäre angegriffen. So gibt es Fälle, wo der Briefkasten einer Lesbe demoliert oder das Kind einer Lesbe verprügelt wurde.

Sechzig Prozent der beteiligten Lesben gaben an, verbal beschimpft worden zu sein („Du hast ja keinen Mann abbekommen“), fast 23 Prozent erlitten körperliche Gewalt (zum Beispiel Anrempeln, Festhalten, Anpinkeln), knapp 18 Prozent trugen als Opfer von Gewalt körperliche Schäden davon – wie Schläge ins Gesicht oder einen Messerstich in den Bauch. Die meisten Taten trugen sich in Kreuzberg und Schöneberg zu.

Als Gewalt definiert die Lesbenberatung alle Geschehnisse, die lesbische Frauen diskriminieren, abwerten, beeinträchtigen und/oder bedrohen. „Natürlich ist durch unsere Aktion nicht das ganze Ausmaß der Gewalt bekanntgeworden“, sagt Karin Müller. Sie geht trotz der vergleichsweisen großen Resonanz davon aus, daß Gewalt gegen Lesben innerhalb der Szene immer noch ein „Tabuthema“ sei: „Das Bild der starken Frau wird angegriffen.“

Die Täter sind, so Karin Müller, in der großen Mehrheit Männer, unter 304 Angreifern waren nur vier Frauen. Bei knapp der Hälfte der 84 Fälle waren mehr als drei Täter beteiligt, öfters auch Gruppen von Jugendlichen. Die Auswertung ergab zudem, daß 20 Prozent der Täter nichtdeutscher Herkunft waren. Bei den von der Polizei registrierten Taten gaben die Frauen an, daß die mutmaßlichen Täter bis auf eine Ausnahme nichtdeutscher Herkunft seien. Karin Müller vermutet, daß die überdurchschnittliche Aggression nichtdeutscher Männer von dem patriarchalen Frauenbild der Herkunftsländer herrühre. Sie erleben die lesbische Lebensweise als Zurückweisung und Kränkung.

Die Auswertung zeigt auch, daß viele Lesben angegriffen wurden, „als sie selbstbewußt und offensichtlich gut drauf waren“, sagt Karin Müller. Eine Erkenntnis, die dem Glauben entgegensteht, daß selbstbewußtes Auftreten oft vor Gewalt schütze. Doch zuweilen wird es als Provokation erlebt. Karin Müller fordert, es müsse noch häufiger Deeskalationstraining gelernt und angewendet werden, statt reiner Selbstverteidigung.