Synthetik-Revolution

■ Ein Ausstellung in Düsseldorf über das Lebensgefühl von 68 untersucht "Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt"

Die Ikonographie von 68 ist mittlerweile ähnlich fest codiert wie die der mittelalterlichen Marienbilder. Deshalb ist das erste, was man im Düsseldorfer Kunstmuseum sieht, ein überdimensionales Foto von Studenten mit entschlossen gesellschaftsverändernden Plakaten. Zwei Damen mit Handtaschen gehen mit wissendem Nicken an dem Bild vorbei: So war das damals.

Der nächste Raum ruft bei ihnen Begeisterung hervor. Objekt der Begierde ist ein Minikleid mit typischem leicht ausgestellten Rock und Op-art-Aufnähern: „So eins hatte ich auch!“ Bei dem weißen Regenmantel mit den orangenen, blauen und rosafarbenen Blumen daneben ist es an der Rezensentin, in Kindheitserinnerungen zu versinken. Nach Meinung der Kuratoren schaffen drei Jahrzehnte Abstand die nötige Distanz für den sachlich-analytischen Blick zurück. Aber wie soll man sachlich sein, wenn um die Ecke überall Cream-Plattencover und Hendrix- Tour-Poster hängen (Hendrix live in Frankfurt für sechs Mark Eintritt!) und die wild gemusterte Pucci-Bluse hemmungsloses Haben- Wollen auslöst? Die schlagwortartigen Kurzinfos zum Thema Große Koalition, Vietnam und SDS ordnen sich dem pittoresken Gesamteindruck reibungslos unter, und die zusammengekuschelten Mitglieder der Kommune 1 wirken nicht weniger putzig als das Titelblatt der Zeitschrift Twen, das die Frage aufwirft: „Meine Freundin nimmt die Pille, bin ich jetzt glücklich?“

Doch nostalgischer Zuckerguß hin oder her – die verdächtig versöhnliche Stimmung, die sich breitmacht, legt eine Spur zu dem Zusammenhang, den diese Ausstellung untersuchen möchte. Es geht, so der Untertitel, um „Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt“: die Frage also, inwieweit Werbung, Mode und Alltagskultur die Aufbruchstimmung einerseits umgesetzt, andererseits aufgesogen und kommerzialisiert haben. Nicht erst in den 60er- und 70er-Jahre-Revivals der heutigen Mode ist den Zeichen der Inhalt, der Hippie-Bluse die Weltanschauung verlorenengegangen. Schon damals versprach Karstadt die „federleichte Revolution“ und meinte knitterfreie Synthetik fürs Hängekleidchen. In den 60er Jahren setzt zum erstenmal die Jugend die Standards für Stil und Outfit – und zum erstenmal zeigt sich, mit welch rasender Geschwindigkeit die Industrie jede neue Welle von Abgrenzungs- und Protestzeichen in konsensfähige Trends umzusetzen weiß.

Besonders auffällig ist das natürlich im Bereich von Prêt-à-porter und Accessoires. Auch das Möbeldesign versuchte sich in Revolution: Die Formen- und Farbenfreude der Schlaghosenträger fand ihre Entsprechung in einer entschiedenen Ablehnung des Funktionalismus der klassischen Moderne. Der Bauhaus-Stil, der sich nach dem Krieg gerade erst wieder etabliert hatte, galt als menschenfeindlich. Die neuen Stühle hatten nicht mehr die funktionalistische Trennung zwischen Beinen und Sitzelement, sondern waren aus einem Guß und hatten weiche, sinnliche Rundungen statt Ecken, am liebsten natürlich in Orange und aus dem neuen Stoff Plastik – das war preiswert und gut formbar. Die Wohnlandschaften auf Schaumstoffgrundlage können als Weiterentwicklung der WG-Matratze gelesen werden: flexibel, mit unterschiedlich kombinierbaren Elementen, und eher zum Liegen als zum Sitzen geeignet. Krönung dieses Trends ist der berühmte Sitzsack. Nicht das Möbel, sondern der Mensch bestimmt die Form – jeder räkelt sich herum, wie er will.

Weniger revolutionär als einfach Ausdruck des noch ungebrochenen Fortschrittsglaubens der Zeit war die allgemeine Weltraumbegeisterung, die sich in futuristischem Design à la Raumschiff Orion äußerte. Radios sahen aus wie kleine, runde Raumkapseln, die Stereoanalage unter der Plexiglas-Halbkugel heißt „Vision 2000“. Im Eingangsbereich des Kunstmuseums ist sogar ein veritables Ufo gelandet: „Futuro“, ein rundes Kunststoffhaus mit Bullaugen, das, auf fragilen Stelzen stehend, den Bewohner mit aufgeklappter Eingangstür zum Raumflug einzuladen scheint. Der finnische Architekt Matti Suuronen baute die graue Wohnpille als Wochenend- und Freizeithaus. Drinnen kann man auf einer kreisförmigen Fläche von acht Metern Durchmesser sitzen, kochen, schlafen und von Aliens träumen. Die multifunktionalen Ein-Raum- Wohnlandschaften, wie sie auch Colani Ende der 60er entwarf, waren kuschelig runde Höhlen, durch dicke Vorhänge in warmen Farben völlig von der Außenwelt abgeschirmt: Zurück in den Uterus war die Devise, die sinnenfrohe Avantgarde flüchtete sich in Regression.

Daß die organisch-natürlichen Formen, mit denen man sich umgab, komplett aus Plastik waren, erschien zumindest bis zur Ölkrise in den frühen 70ern niemandem als Problem. Auch wenn in den ersten Pamphleten das Wort Ökologie bereits auftaucht, so waren Ideologie und Material damals in anderen Koalitionen verbunden als heute. Plastik war billig und förderte so Konsummöglichkeiten für alle. Wegwerfmöbel aus Pappe, aufblasbare Sofas aus PVC suggerierten eher Mobilität als Ressourcenverschwendung. Und in einer Zeit, in der alles im Umbruch war, erschien es geradezu als Anmaßung den nachfolgenden Generationen gegenüber, dauerhafte Inneneinrichtungen zu haben, mit denen sich noch die Enkel herumschlagen müssen. Daß die heute gar nichts gegen quietschorangene Fernseher und Raumschiff-Orion- Look haben, konnte damals niemand wissen. Elke Buhr

„68: Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt“. Kunstmuseum Düsseldorf, bis 26. April 1998, (ab 16. Mai Galerie im Karmeliterkloster, Frankfurt/ Main)