: Großer Nervosismus
Die 48. Berliner Filmfestspiele renommieren mit prominenter amerikanischer Besetzung und asiatischen Filmen ■ Von Brigitte Werneburg
Es ist ja jedes Jahr ungefähr das gleiche Procedere um die Auswahl der Wettbewerbsfilme für die Berliner Filmfestspiele. Wer kommt, wer kommt nicht, warum kommt wer nicht, wer kommt doch noch, und wer sagt in letzter Minute ab? Dieses Jahr jedoch, meinte der im vergangenen Jahr für weitere fünf Jahre bestätigte Festivalchef Moritz de Hadeln, seien die Zu- oder Absagen besonders spät gekommen, nämlich erst Mitte Januar, da die internationale Filmwirtschaft, wie sich nur der polyglotte de Hadeln auszudrücken vermag, „in einen großen Nervosismus gerutscht ist“.
Anlaß gibt es dafür in der Tat. Vor allem aus der Sicht von Hollywood. Der US-amerikanische Kinomarkt stagnierte 1997 mehr oder minder, während Europa Traumzuwachszahlen meldete. Zudem drang etwa der britische Film ziemlich erfolgreich auf den amerikanischen Markt. Das alles heißt wohl, daß der Erfolg auf dem europäischen Markt für Hollywood immer wichtiger wird, während zu Hause sogar minimale Marktanteile an den britischen Film abgegeben werden mußten.
Der Umsatzzuwachs an den deutschen Kinokassen, so lauten die jetzt bekanntgegebenen Zahlen der Filmförderungsanstalt, betrug stolze 11,7 Prozent. 143,1 Millionen Zuschauer legten 1,469 Milliarden Mark auf den Tresen, und dabei gab es auch für die deutschen Produktionen ein Plus von 3,1 Millionen Besuchern. Der Marktanteil der deutschen Filme erreichte 1997 zwar nicht die 20 Prozent, von denen immer gemunkelt wurde, doch 17,3 Prozent (1996 waren es 16,2 Prozent, 1995 aber noch 9,5 Prozent) geben durchaus auch hierzulande Anlaß zu einem gewissen Nervosismus. Denn diese Zahl möchte man nicht nur gerne halten, man möchte sie natürlich noch steigern. Die vielbeschworenen 20 Prozent scheinen dann schon einigermaßen nahe an den 25 Prozent dran, und da kommt man leicht ins Phantasieren. Ein Viertel des Marktes für den deutschen Film, das wäre wohl das große Wunder am Ende dieses Jahrhunderts.
Ein paar kleine Zahlenspiele
Es gab allerdings schon einmal mehr Kinobesucher in Deutschland, genau 700.000 mehr als 1997, nämlich im Jahr 1981. Man sollte sich also auf etwelchen Lorbeeren nicht ausruhen. Zumal der Umsatz- und Besucherzuwachs 1997 im wesentlichen auf der großen Zahl neuer Kinoeröffnungen beruhte, 382 davon machten im letzten Jahr auf. Hübsch, die Zahlenspiele der Filmförderungsanstalt: 1997 hatte jeder Kinositz 180, und jede der 4.284 deutschen Leinwände 33.408 Besucher, aber nur 19.155 Einwohner. Nun gut, man kann das anders ausdrücken, aber nach Adam Riese macht das trotzdem 1,74 Kinobesucher pro Einwohner in unserer wiedervereinigten Republik.
Trotz des Erfolgs des deutschen Films – „Knockin' on Heaven's Door“, „Kleines Arschloch“ und „Rossini“ kamen je auf über drei Millionen Besucher – ist im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale streng genommen nur ein deutscher Film vertreten, „Das Mambospiel“, in dem Regisseur Michael Gwisdek die konfliktreiche Beziehung eines Schauspielerpaares unter die Lupe nimmt. Gwisdek spielt neben seiner Ehefrau aus dem realen Leben, Corinna Harfouch, und Jürgen Vogel eine der Hauptrollen. Die andere deutsche Produktion, „The Commissioner“ mit Armin Mueller-Stahl, darf man als eine Art filmische Euro-Einführung betrachten, geht es zum einen doch um einen Industriekommissar der EU, der die skrupellosen Machenschaften eines Chemiekonzerns aufdeckt; zum anderen ist die Produktion echt euromäßig organisiert, Regie führte der Holländer George Sluizer, die Originalsprache ist Englisch.
Mit einem „Originalsprache“- Hinweis anstelle der Nennung des Herkunftslandes sind in diesem Jahr übrigens alle Wettbewerbsfilme versehen. Angeblich, weil immer mehr Filmgesellschaften aus immer mehr Ländern für einen Film kooperieren. Die neue Globalisierung führt dann mitunter zu merkwürdigen Pressemeldungen. Bei „The Big Lebowski“, mit dem die Coen-Brüder ins Rennen gehen, ist die Originalsprache „Englisch“, bei der nächstgenannten Produktion „The Boys“ wird sie dagegen weit differenzierter als „Australisches Englisch“ benannt.
Soll das Nichtvorhandensein eines „Amerikanischen Englisch“ ein Trick sein, zu verschleiern, daß sich neun US-Produktionen unter den 29 Spielfilmen des Wettbewerbs tummeln? Die letzte Pressemeldung besagt dann noch, daß der britische Abschlußfilm „Sliding Doors“, das Regiedebüt von Peter Howitt, aus technischen und vertriebsstrategischen Gründen nicht mehr für die Berlinale zur Verfügung steht. Statt dessen zeigt Francis Ford Coppola, der – hört, hört – auch persönlich zur Vorführung erscheinen möchte, die John- Grisham-Verfilmung „The Rainmaker“ mit Matt Demon in der Hauptrolle. Demon hat sich übrigens mit dem Drehbuch zum Wettbewerbsbeitrag „Good Will Hunting“ höchstselbst eine weitere Hauptrolle auf den Leib geschrieben. Es ist schreckliches Mainstream-Kino, das Gus Van Sant schrecklich gut verfilmte. Der Film läuft bereits während der zweiten Berlinale-Woche bundesweit in den Kinos an.
Coppola-Kollege Robert Altman kommt ebenfalls mit einer Grisham-Verfilmung nach Berlin. Kenneth „Shakespeare“ Branagh spielt in „The Gingerbread Man“ einen Anwalt, dem eine spontane Liebesnacht zum Verhängnis wird. Hört sich nicht gerade originell an. Doppelt wird auch Nord-/Irland abgehandelt. Einmal in „The Boxer“ dem neuesten Film von Jim Sheridan, der die Filmfestspiele heute abend eröffnet. Daniel Day- Lewis spielt einen IRA-Mann, der nach vierzehn Jahren Knast nach Belfast zurückkommt und einen Club aufmacht, in dem protestantische und katholische Kids gemeinsam boxen sollen. Emily Watson, noch aus Lars von Triers „Breaking the Waves“ in bester Erinnerung, hat in der Zwischenzeit geheiratet, aber die alte Liebesgeschichte zwischen ihr und Day-Lewis flammt wieder auf. „The Butcher Boy“ von Neil Jordan blendet dagegen in die 60er Jahre zurück, in eine irische Kleinstadt, in Alkoholismus und Armut.
Frankreich entsandte Alain Resnais mit „On Connait la Chanson“, einer Musikkomödie, die dem ehemaligen Nouvelle-Vague- Regisseur seinen ersten großen kommerziellen Erfolg bescherte. Italien ist dieses Jahr mit Pupi Avati wieder im Wettbewerb vertreten. Trends sind eigentlich keine auszumachen, der große kontroverse Film, als der sich letztes Jahr „Larry Flint“ herausstellte, ist ebenfalls nicht in Sicht. „Great Expectations“, wie die freie Dickens-Adaption von Alfonso Cuarón heißt, ziehen Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ und vor allem „The Big Lebowski“ in der Regie von Joel Coen auf sich. Vierzehn Filme des Wettbewerbs sind Weltpremieren, fünf Debütfilme, dazu kommen zehn Kurzfilme, darunter „Playboys“ von Oscar- Preisträger Pepe Danquart.
Das asiatische Kino als Rückgrat des Forums
Im 13. Panorama sind es 21 Welturaufführungen und 17 internationale Premieren unter den gezeigten 52 Lang- und 26 Kurzfilmen. Auffällig ist hier die große Zahl von Filmen aus Ländern lateinischer Kultur, Originalsprache Spanisch oder eben auch Portugisisch. Beachtlich auch die Präsenz deutscher Spielfilme. Der Titel des neuen Films von Herbert Achternbusch, „Neue Freiheit keine Jobs“, sagt schon, worum es geht, aber wie der narrische Bayer die Sache angeht, kann man nur ahnen. Romuald Karmakar („Der Totmacher“) ist mit „Das Frankfurter Kreuz“ dabei, Lothar Lambert mit „Und Gott erschuf das Make-Up“ sowie Ottokar Runze, der sich mit „Hundert Jahre Brecht“ auseinandersetzt. Dokumentarisches kommt aus den Fassbinder-Kreisen, von seiner ehemaligen Cutterin und Nachlaßverwalterin Juliane Lorenz und dem Schauspieler Peter Kern; dokumentarisches auch von Jochen Hick, Helga Reidemeister und Monika Treut, die sich einmal mehr mit Sex und Sexarbeit beschäftigt.
Das 28. Internationale Forum des Jungen Films schließlich baut auf das asiatische Kino. Sieben japanische Filme und dreizehn koreanische Titel sowie weitere Produktionen aus China, Hongkong, Taiwan und Indien zeigen dann allerdings doch einen Trend an, nämlich daß sich im Fernen Osten eine international relevante Filmwirtschaft etabliert hat. Eine kleine Hommage ist dem koreanischen Regisseur Kim Ki-Young gewidmet, der seit den 70er Jahren reichlich abgefahrene Filme dreht, in denen die Männer diabolischen Frauen zum Opfer fallen. Aus den USA ist Michael Moore dabei, dessen „Roger and Me“ 1990 im Forum für Furore sorgte. Auch in seinem neuen Beitrag zieht er, ein wenig eitel und selbstverliebt, gegen die Managerkultur in den Vereinigten Staaten zu Felde. Kino satt also in den zehn Tagen zwischen dem 11. und 22. Februar für Berliner und Berlinbesucher. Denn anders als in Cannes oder in Venedig bei der Biennale ist das Publikum bei der Berlinale zugelassen.
Die Hommage gilt dieses Jahr Catherine Deneuve, Unesco-Botschafterin für das Filmerbe. Ja, so etwas gibt es auch. Die große Retrospektive ist Robert und Curt Siodmak gewidmet, deren Karriere 1929 in Berlin mit dem Film „Menschen am Sonntag“ begann. In der Emigration trennten sich allerdings ihre Wege. Die Berlinale bringt sie nun wieder zusammen.
Die taz berichtet ab morgen täglich von den Internationalen Filmfestspielen aus Berlin
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