Zum Glück wachsen Bananen von alleine

Sieben Jahre lang hat ein mörderischer Bürgerkrieg Liberia verwüstet. Jetzt ist alles kaputt, und es herrscht Frieden. Doch ohne Wiederaufbau ist es schwer, die Greuel der Kriegsjahre zu vergessen  ■ Aus Monrovia Silke Mertins und Heike Haarhoff

Moses mault ohne Unterlaß. Dann stellt er ein Ultimatum. „Bosslady“, sagt er, „wenn ich an der Grenze nichts zu essen kriege, fahre ich nicht weiter.“ Zwar kaut er gerade auf einem Stück Weißbrot, doch das zählt nicht. Was zählt, ist Reis. Einen riesigen Berg Reis mit palmöliger Pfeffersoße hätte er gern. Er läßt das Lenkrad los und malt die ihm angemessene Portion in die Luft.

„Ist ja gut“, stöhnt „Bosslady“ Aletha Johnson, „aber fahr verdammt noch mal nicht in jedes Schlagloch. Wie oft soll ich das noch sagen?“ Das ist leichter gesagt als getan. Die Pistenstraße, die hinter dem Städtchen Danane in der Elfenbeinküste zur liberianischen Grenze führt, besteht aus einer Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Auf der liberianischen Seite sieht es noch schlimmer aus. „An manchen Brücken“, sagt Aletha Johnson, Angestellte eines liberianischen Bauunternehmens, „steige ich lieber aus und gehe zu Fuß.“ Dann müssen Fahrer Moses und ihr ramponierter Pkw allein über Holzbohlen Bäche und Flüßchen überqueren.

An der Grenze zu Liberia angekommen, ist bereits ein Scheinwerfer abhanden gekommen. „Da siehst du, was du angerichtet hast“, schimpft Aletha ihren Fahrer an. „Ist mein Auto etwa ein Lastwagen?“ Moses sagt kein Wort und schickt sich an, den kleinen Strohhütten-Imbiß namens „Das Essen ist fertig“ anzusteuern.

Die Grenzprozedur nimmt nur eine Stunde in Anspruch. Aletha zückt so manchen Jayjay – die außerhalb der liberianischen Hauptstadt Monrovia gebräuchliche Währung, benannt nach dem ersten Präsidenten J. J. Roberts. Endlich in Liberia angekommen, holpert der Wagen mühsam über die zerfurchte Piste. Es scheppert und klappert und ruckelt. Aber die Straßenverhältnisse sind noch vergleichsweise gut – wenn der tropische Regen ab April über das Land niedergeht, verwandelt sich die Staubpiste in eine Rutschbahn und wird unpassierbar.

Wenige hundert Meter hinter der Grenze ist bereits das erste schwerbeladene Buschtaxi liegengeblieben. Unter der Motorhaube quillt Qualm hervor. Die Passagiere sind liberianische Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste, die eigentlich nachsehen wollen, was von ihrem Zuhause übriggeblieben ist.

Links und rechts der Straße wuchert und sprießt es meterhoch. Das Klima ist so feucht, daß selbst Bananen ohne Bewässerung wachsen. Doch viele Bauernfamilien sind noch nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt; die Felder liegen brach. Von den Häusern sind nach den Kämpfen und Plünderungen meist nicht mehr als die Grundmauern stehengeblieben. Einschußlöcher erinnern an den Krieg. Auf der Straße ist kaum Verkehr. Die Menschen sind mit ihren Waren zu Fuß unterwegs, denn heute ist Markttag in einer der größeren Ortschaften. Verkauft wird, was man ohne große Mühe ernten kann: Mangos, Papajas, Orangen, auch Pfefferschoten, Maniok und Süßkartoffeln. Die Tomaten sind winzig; Zeit zum Wachsen läßt man ihnen nicht.

Aletha läßt anhalten. Sie will Kochbananen und Ananas kaufen, als Vorrat. „Es gibt dieses Jahr so wenige, daß in Monrovia keine ankommen.“ Der Preis ist ihr zu hoch. „Dreißig Jayjay – du spinnst wohl!“ Das sind ja immerhin umgerechnet 1,50 US-Dollar – etwa 2,50 Mark. Mehrfach wird ein- und ausgeladen. Dann wird man sich doch noch einig. Rund ein Dutzend Militärsperren sind auf der Straße nach Monrovia plaziert. Kämpfer der ehemaligen Guerillabewegung des heutigen Präsidenten Charles Taylor stehen neben Soldaten der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog. Nur letztere tragen Gewehre – die Taylor- Soldaten wurden wie alle Milizen in Liberia von der Ecomog im Rahmen des Friedensprozesses entwaffnet. In jeder der provisorischen Amtsstuben hängt ein Bild des neuen Staatschefs Charles Taylor. „Unser Präsident“, sagt ein Soldat, „ist klasse.“ Hier in Nimba County war seine Hochburg.

Inzwischen ist die schlaglöchrige Piste in eine schlaglöchrige Asphaltdecke übergegangen. Kilometerlange Gummiplantagen säumen den Straßenrand. Kleine schwarze Behälter, in die der rohe Kautschuk hineintröpfelt, sind an die Baumstämme geklemmt. Fast bis an die Stadtgrenze Monrovias erstreckt sich die endlose Monokultur. Dann folgen ebenso endlos die Außenbezirke mit den unzähligen improvisierten wellblechgedeckten Hütten der Binnenflüchtlinge. Monrovia, die einst beschauliche Hauptstadt, hat ihre Bevölkerungszahl während des Kriegs auf eine Million Menschen verdreifacht.

Eine weitere Militärkontrolle ist in Sichtweite. Aletha holt einen anderen Packen Geldscheine heraus: den Liberty, die in Monrovia gültige Währung. Die Teilung Liberias in zwei Währungszonen ist ein Relikt des Bürgerkriegs: Charles Taylor erkannte den Liberty nicht an und führte in seinem Herrschaftsgebiet den Jayjay ein. Der Rebellenchef endete schließlich als Präsident – und auch seine Währung ist heute im Vergleich zum US-Dollar doppelt soviel wert wie der Liberty.

In ganz Monrovia gibt es weder Strom noch fließendes Wasser. Dennoch ist auf dem Weg in die Innenstadt die Straße plötzlich hell erleuchtet und mit bunten Fähnchen geschmückt. „Hier“ sagt Aletha, „baut unser Präsident sein neues Haus.“ In Taylors alter Residenz, einige Kilometer weiter direkt neben dem Gelände der noch immer verlassenen deutschen Botschaft, wohnte schließlich schon sein Vorgänger Samuel Doe, den Taylor erbittert bekämpfte.

Grimmig und ohrenbetäubend arbeiten hier und da die Stromgeneratoren einiger betuchter Privatleute und Hotels. Vor diesen hell erleuchteten Gebäuden haben sich Schulkinder in Uniform mit ihren Rechenaufgaben niedergelassen. „Zu Hause“, sagt ein Zehnjähriger, „haben wir keinen Platz.“ Zu viele drängelten sich um die schummrigen Öllampen. Die wenigen kirchlichen und privaten Schulen, die den Unterricht wieder aufgenommen haben, sind überfüllt.

Überall in den Ruinen der Innenstadt haben sich Obdachlose einquartiert. Wäscheleinen hängen zwischen Einschußlöchern. Das einst beste Hotel am Platz, Ducor am Ende der Hauptstraße Broad Street mit malerischem Blick aufs Meer, ist von oben bis unten von vertriebenen Liberianern belegt. Zwei kleine Mädchen laufen mit Plastikkübeln den Hügel zu einer Wasserausgabestelle der EU hinunter. Sind die vollen Eimer nicht zu schwer, wenn man sie den ganzen Weg zurücktragen muß? Die beiden kichern. „Quatsch.“

Das andere einstige Schmuckstück der Hauptstadt, das vornehme Hotel Africa, in den 70er Jahren für eine Konferenz der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) gebaut, ist wieder halbwegs in Betrieb. Ein Teil des riesigen Gebäudekomplexes wird von UN-Leuten bewohnt. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR macht den zweiten Anlauf, beim Wiederaufbau zu helfen. Der erste endete 1996 mit erneuten Kämpfen und dem Verlust des gesamten Inventars, inklusive Klimaanlagen und 250 Jeeps. „Die wurden in den Nachbarländern verscheuert“, erzählt einer der Wachleute. Von wem? „Von allen.“ Beim Plündern hätten sich die Kriegsparteien nicht unterschieden. Sogar die Eingreiftruppe Ecomog habe kräftig mitgemischt.

Nicht weit vom Hotelkomplex entfernt wohnt Peter Paye in einem kleinen, selbstgebauten Lehmhaus. Heute gibt es ein bescheidenes Festessen. Denn der Familienvater hat einen Job als Koch gefunden. 50 Dollar wird er im Monat verdienen. „Das ist viel Geld.“

18 Monate hatte Peter Paye keine Arbeit. Dreimal ist er in den sieben Kriegsjahren aus der Hauptstadt geflohen. Dreimal hat er alles verloren. Elf und dreizehn Jahre alt waren die beiden Kinder, die er bei den Kämpfen in seinem Heimatdorf im Regenwald verlor. „Sie waren an dem Tag in einem anderen Dorf, sie liefen weg, als die Schüsse näherkamen.“ Er kann sich nicht verzeihen, daß er sie nicht holen gehen konnte. „Erst nach fünf Tagen wurden ihre Leichen gefunden.“ Sieben Tage war er mit seiner Frau und den anderen Kindern dann nach Monrovia unterwegs. Zu Fuß. „Das kann man nicht erzählen.“

Dieses Mal, so hofft er, wird der Frieden halten. Haben denn nicht 75 Prozent der Liberianer Taylor gewählt? Andererseits: Hätte Taylor Ruhe gegeben, wenn man ihn nicht zum Präsidenten gewählt hätte? „Wir müssen jetzt versuchen, alles zu vergessen.“

Doch das fällt vielen schwer. In dem einzigen funktionierenden Krankenhaus der Stadt zum Beispiel kann man die Bilder der Vergangenheit kaum verdrängen. Dutzende Zivilisten drängeln sich auf den Fluren. Operationen, Malariabehandlungen, Geburten – alles läuft wieder auf Hochtouren. Während des Krieges wurden hier Taylors Truppen versorgt. Offen über diese Zeit zu reden traut sich keiner. Kindersoldaten sollen selbst im Krankenhaus Leute massakriert haben. Einer Schwangeren sei der Bauch aufgeschlitzt worden.

„Sie wollten sehen, wie das Baby aussieht“, erzählt ein ehemaliger Angestellter. Kriegsverletzte hätte man gleich erschossen. „Taylor wollte keine Krüppel.“ Das und manches andere „können viele dem Präsidenten nicht verzeihen“.

Gegen die Erinnerung hilft „Club Beer“, in Dreiviertelliterflaschen. Die kleinen Open-air-Bars in Hinterhöfen und zwischen den Gebäuden sind überfüllt. Bill zum Beispiel schmeißt jetzt eine Runde. Wovon lebt er? „Import– Export.“ Er grinst. Gebrauchte Kleider führt er ein. „Verkauft sich gut.“ Sein Kumpel will nicht nachstehen: „Ich importiere gebrauchte Autos.“ Na ja, genaugenommen tut das sein Chef. Prost. „Mein Laden ist eine Goldgrube“, freut sich Barinhaber Nagbe.

Die Kühlschränke werden über einen kleinen Generator betrieben. Überhaupt habe die Brauerei während des gesamten Krieges nicht geschlossen. „Die wurde von allen beschützt. Das war der sicherste Ort des ganzen Landes.“