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Von Rude Boys und Rastafaris

■ No Women No Cry – das Fama-Kino startet diese Woche eine Reihe mit Reggae-Filmen

Chris Blackwell war ein kluger Stratege – ein überlegener geradezu. Als er 1972, damals Chef der Plattenfirma Island Records die ersten Aufnahmen zur Bob-Marley-LP Catch A Fire in den Händen hielt, ahnte er, daß hier erstmals das zahlungskräftige Rockpublikum in Europa und Amerika in Massen an Reggae Gefallen finden könnte. Um den möglichen neuen Fans den Einstieg zu erleichtern, schickte er das Material nach England mit der Auflage, hier und da kleine Melodien zu addieren, den rauhen Reggae-Sound für des Rockfans zarte Ohren zu fönen und zu polieren und trotzdem die Nachbehandlung nicht bis zur Verwässerung zu treiben.

Denn das hatte Blackwell erkannt: Wenn Marley verkaufen sollte, dann nur, wenn im Kern die Mischung aus Rastafari-Spiritualität und weltlicher Guerilla-Metaphorik gewährt bliebe und wenn ferner all dies durch den Schmelz großer Melodien zusammengeschnürt würde – kurz: wenn Marley als Repräsentant der dritten Welt den letzten verbliebenen Hauptwiderspruch zwischen Erster und Dritter Welt anmahnt – als Kämpfer, nicht als Clown. Blackwell lag richtig, Geld floß in Strömen und Marley wurde bis zu seinem Tod 1981 zur Projektionsfläche für allerhand hippieske und oftmals weltflüchtige Zuschreibungen.

Alles Mißverständnisse? Wo liegt die Wahrheit? Das Medium Film birgt zumindest die Chance eines weitgreifenden Verständnisses der Musik, ihrer Produktionsbedingungen und ihrer jamaikanischen Fans. Das Fama-Kino in Lurup nimmt sich jetzt der ambivalenten Siebziger-Reggae-Phase mit einer Filmreihe an.

1972 wurde vom B-Film-Hipster Roger Corman The Harder They Come produziert. Hauptdarsteller Jimmy Cliff, „der archetypische Rude Boy“, wie ihn der Reggae-Forscher Steve Barrow nennt, der damals mit Vietnam und dem Cat-Stevens-Stück Wide World schon mittlere Hits gelandet hatte, spielt hier die Rolle des von Musikproduzenten ständig abgelinkten Jungtalents. Der Amerikaner Corman übertrug ein US-Blaxploitation-Szenario aufs jamaikanische Ghettoleben, und die Musik fungiert eher als Kulisse einer Story, als daß sie Gegenstand einer tiefergehenden Untersuchung ist – ein echter B-Film eben. Trotzdem sehenswert.

Reggae Sunsplash von 1979, ko-produziert übrigens vom Süddeutschen Rundfunk, ist zum überwiegenden Teil eine Dokumentation des Sunsplash-Festivals von 1979. Konzertausschnitte von Bob Marley, Inner Circle, Peter Tosh und ein überragender Auftritt Burning Spears prägen diese Dokumentation. Ferner wird ein Blick auf die Religion des Rastafarianismus geworfen und auf dessen frühen Propagandisten Marcus Garvey.

Mit Time Will Tell ist 1991 gleichermaßen eine Bob Marley-Dokumentation als auch ein Konzertfilm gelungen. In Europa und Amerika zuvor weithin unbekanntes Filmmaterial wird hier zu einer bedrückenden Darstellung des Lebens und konzertanten Agierens von Bob Marley aufbereitet. Sehr deep!

Nils Michaelis

„Reggae Sunsplash“: Fr, 13. + Sa, 14. Februar, 23 Uhr

„The Harder They Come“: Fr, 20. + Sa, 21. Februar, 23 Uhr

„Bob Marley – Time Will Tell“: Fr, 27. + Sa, 28. Februar, 23 Uhr

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