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Die hofierten Störenfriede

Intellektuelle gehören heute zum Showbiz. Kritik ist getarnter Konformismus. Jetzt geht es um den geordneten Rückzug  ■ Von Norbert Bolz

Es gibt Fragen, die die Wissenschaften zwar stellen, aber nicht beantworten können. Hier springen dann die Intellektuellen ein. Sie zehren vom Charisma der Vernunft, sind aber, anders als der spröde, prosaische Wissenschaftler, „engagiert“ und wollen „kritisch eingreifen“. Mit anderen Worten: Sie nutzen ihren quasiwissenschaftlichen Status, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Und das funktioniert, denn Intellektuelle haben die rhetorische Macht, bestimmte Illusionen zu privilegieren. Sie bedienen das Begehren des Publikums nach Orientierung durch die „eigene Meinung“ und Wertung, das heißt, sie definieren den Stand der Dinge. Während die Unübersichtlichkeit der Welt von Managern zu verantworten ist, die ihren Blick nicht über den Tellerrand der „Techne“ erheben können, positioniert sich der Intellektuelle auf der Seite des „Logos“ und bietet den Service des Sinns. Dieser Dienst am Subjekt ist der wohl wichtigste Teil des großen Serviceunternehmens Geisteswissenschaften.

Der ideale Schauplatz der Dienstleistung von Intellektuellen war bisher das Feuilleton. In den letzten Jahren haben sie sich aber dem Gesetz der Telekratie beugen müssen und sind zu Talking Heads mutiert, ständig geben sie Interviews, streiten in Talkshows und perfektionieren die Zehnsekundenstatements in der „Tagesschau“. Kurzum, die Intellektuellen gehören heute zum Showbusiness. Und das bestätigt die alte Diagnose von C.W. Mills: „It is difficult to remain the critic of a society that is entertained by blame as well as praise.“ Deshalb muß sich der „kritische Intellektuelle“ heute mit den Mitteln des Kultmarketings in Szene setzen. Das heißt, er muß, erstens, Abweichung zum Business machen – seine Positivität ist die Negativität. Und er muß, zweitens, seine technische Inkompetenz als philosophische Besonnenheit stilisieren.

Doch Vernunftrhetorik, telegenes Auftreten und Kultmarketing in eigener Sache genügen nicht. Intellektuelle brauchen entweder ein Metarécit, eine Master Idea – oder sie werden sich selbst historisch und edieren ihre Klassiker. Das sind die Rahmenbedingungen ihres „Einflusses“ auf die Öffentlichkeit. Es ist heute wohl unstrittig, daß öffentliche Meinung veröffentlichte Meinung ist. Und diese operiert als – im präzisen Sinne der Synergetik – „Versklavung“ der je eigenen. Die privilegierten Illusionen der Intellektuellen funktionieren dabei als „Ordner“. Daß das so reibungslos funktioniert, läßt sich nur mit der Theorie der Schweigespirale erklären: Aus Angst vor Isolation beobachtet man ständig die Meinung der Starintellektuellen. Und gerade auch für die Population der Gebildeten gilt das Gesetz der Pluralistic Ignorance: „Die Mehrheit täuscht sich über die Mehrheit.“ (Noelle-Neumann)

Deshalb ist der eigentliche Feind des Intellektuellen der Populist, der dem Volk aufs Maul schaut. Zur Selbststilisierung des linken Intellektuellen gehört die dunkle Kontrastfolie der bierdunstigen Stammtischwelt. In der Talkshow „Drei nach Neun“ produzieren Sloterdijk und Peter Glotz kritischen Sinn, in der Eckkneipe kurz nach elf stürzen mich meine Nachbarn in reaktionären Unsinn. In den dumpfen Meinungen der Feierabendbürger über Asylanten, Frauenquoten und Mahnmal dräut der Faschismus; in der Kontroverse der Intellektuellen entfaltet sich die Vernunft. So funktioniert die räsonnierende Öffentlichkeit als Religion der in den Massenmedien diskutierenden Klasse. Man kann das durchschauen und Öffentlichkeit als System „kultureller Kasten“ (Enzensberger) entzaubern – oder sich in einem „Meta-Interview“ (Martin Walser) von der Selbstinszenierung als Intellektueller verabschieden. Doch was Intellektuelle sind, haben bisher zumeist nur Intellektuelle bestimmt. Die Selbstbeschreibung als „kritischer Geist“ macht den Intellektuellen als legitimen Sohn der Aufklärung kenntlich. Als Aufklärer ist er auch Menschheitserzieher und versteht sich als moralische Instanz, Gewissen der Nation und Stachel im faulen Fleisch der Konsumgesellschaft. Im Fernsehzeitalter, das auf Sensation und Katastrophe programmiert ist, beschreibt sich der Intellektuelle als Warner, Mahner und Zukunftsdeuter.

Politisch steht der deutsche Intellektuelle links und beobachtet die Welt mit der Unterscheidung progressiv/konservativ. Doch das ist aus zwei Gründen problematisch geworden. Zum einen fördert die neue Unübersichtlichkeit der modernen Welt einen „Konservativismus aus Komplexität“ (Luhmann). Zum anderen knabbern die progressiven Intellektuellen am Dahrendorf-Paradoxon: daß nämlich die fürsorgestaatlichen Erfolge der Linken die Linke überflüssig machen.

Bleibt die Selbstbeschreibung des Intellektuellen als Störenfried, dem die Kultur ihre Variabilität verdankt. Und das Wort, das Christian Wernicke für die Non Governmental Organizations geprägt hat: „die hofierten Störenfriede“, paßt in der Tat ganz genau auf die Intellektuellen. Die aktuellste Figur des geistigen Showbusiness heißt denn auch „Querdenker“, er ist beliebt, weil sich heute ohnehin niemand mehr durch Provokationen provozieren läßt. Jeder Intellektuelle mißversteht sich als privilegierter Beobachter der Gesellschaft. Schuld daran ist sein soziologisch freies Schweben im Sinne Karl Mannheims. Im Schutz dieser Selbsttäuschung kann er dann als Meister des großen Verdachts auftreten. War es zu Zeiten der Aufklärung noch der Verdacht gegen das Geheimnis, so hat man im Zeichen von Marxismus und Psychoanalyse den Verdacht gegen sich selbst gerichtet. Und seit Adorno von Kulturindustrie, Enzensberger dann von Bewußtseinsindustrie gesprochen hat, richtet sich der große Verdacht gegen die Medien – natürlich in den Medien!

Ich klage an... im Namen von... Unserer Kultur ist diese Attitüde so selbstverständlich geworden, daß es schon der Abgeklärtheit des Aufklärers Niklas Luhmann bedurfte, um die paradoxe Struktur von Protestkommunikation in den Blick zu bekommen: Man ist in der Gesellschaft im Namen der Gesellschaft gegen die Gesellschaft – und zwar, als ob der Protest von außen käme. Dabei operiert man ganz unkritisch mit der Unterscheidung kritisch/affirmativ. Das zeigt aber, daß die Intellektuellen gerade in ihrer Schlüsselattitüde „Kritik“ nicht lernbereit sind.

Nun ist Kritik gerade nichts, was man an die moderne Gesellschaft erst herantragen müßte; vielmehr produziert sie selbst die Kritik an sich selbst. Das Problem ist deshalb umgekehrt dies, daß durch die Einführung der Negation der Gesellschaft in die Gesellschaft selbst – und das war ja das große Werk der kritischen Intellektuellen – diese gegen Kritik immun geworden ist. Entsprechend kann man am Automatismus des „Hinterfragens“ erkennen, daß sich Konformismus als sein Gegenteil tarnt – eben als Kritik. So geht es also nicht mehr weiter (bzw. in den Medien: endlos weiter).

Doch wenn Kritik nicht mehr geht – was dann? Hier ein paar Vorschläge, womit das geistige Vakuum zu füllen wäre:

– Beobachtung und Beschreibung (keineswegs affirmativ, denn genaue Beobachtung kann die höchste Form der Verachtung sein)

– Dekonstruktion der frames (eine schöne unendliche Aufgabe, denn Dekonstruktion „ist“ die Dekonstruktion des „ist“)

– Theorie des blinden Flecks (ich sehe was, was du nicht siehst)

– Souveräner Eklektizismus (keine Angst vor denen, die nach einem „Ansatz“ fragen)

– Medienkompetenz (sich nicht ködern lassen vom Code dafür/dagegen, also von der öffentlichen Meinung)

– Kultur der ironischen Vernunft.

Nie wieder Kritik? Nie wieder Intellektuelle? Wenn Intellektuelle denn doch unbedingt sein müssen, werden sie nur eine Zukunft haben, wenn sie die intelligente Intellektuellenkritik ad notam nehmen. Auch wenn's weh tut: An Gehlen, Schelsky, Marquard und Lübbe führt hier kein Weg vorbei. Wir brauchen eine Aufklärung der endlichen, un-einen Vernunft, weil sich Selbstdenken nicht an Profis, also Intellektuelle, deligieren läßt. Und wir müssen fragen: Was kommt nach der Vernunft? Denn die Vernunft der Aufklärung verweigert bis heute den Plural (letztes Beispiel: Mittelstrass), und deshalb müssen wir Abschied von ihr nehmen. Oder: Wenn doch noch Vernunft, dann nicht eine eine, sondern eine ironische, die zwischen Realitätskonstruktionen wechselt. Man ist nämlich um so freier, je mehr reasons man hat. Es gibt keine Master Idea mehr. Das Reale besteht aus sich widersprechenden Gewißheiten.

Die klugen Leute, die sich bisher selbst für kritische Intellektuelle gehalten haben, sollte es stutzig machen, daß man sie kulturoffiziell vermißt. Gerade weil die Produktivkraft Intelligenz im Zeichen der Konvergenz von Wirtschaft und Wissensmanagement immer wichtiger wird, verliert die Rolle des Intellektuellen zunehmend ihre soziale Funktion. Wer heute noch glaubt zu wissen, wo es langgeht, blamiert sich. Visionen fürs 21. Jahrhundert gehören in die Hochglanzbroschüren großer Unternehmen. So lautet mein Fazit: Die Position des Intellektuellen ist unhaltbar geworden – nun geht es darum, den geordneten Rückzug anzutreten. Der Auftritt von Grass war ja nicht ärgerlich (Stachel im Fleisch!), sondern einfach nur peinlich. Nie wieder Intellektuelle!, müßten also gerade die klugen Köpfe und freien Geister sagen. 100 Jahre J'accuse – das ist eine prägnante Markierung, um ein Kapitel der Wissenssoziologie zu beenden.

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