Haftstrafe, aber frei

■ Oberlandesgericht verurteilt PKK-Europasprecher zu siebeneinhalb Jahren und läßt ihn sofort frei. Zuvor umfangreiche Absprachen

Hannover (taz) – Zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen Mittäterschaft bei zahlreichen Brandanschlägen und Überfällen auf türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle gestern den Ex-Europasprecher der PKK- Organisation ERNK, Kani Yilmaz, verurteilt. Trotz der hohen Strafe wurde der 48jährige Kurde umgehend aus der Haft entlassen. Einer vorzeitigen Entlassung des PKK-Sprechers, der bereits über dreieinhalb Jahre in englischer Auslieferungs- und deutscher Untersuchungshaft gesessen hat, stand auch die Bundesanwaltschaft wohlwollend gegenüber. „Einen Antrag auf Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Haftstrafe werden wir befürworten“, sagte gestern nach der Urteilsverkündung der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Hermann von Langsdorf. Noch gestern verzichteten Bundesanwaltschaft und Verteidigung auf Rechtsmittel gegen das Urteil und machten so den weg frei für den Antrag der Verteidigung auf vorzeitige Haftentlassung freimachen.

Das verkündete Strafmaß und auch die sofortige Freilassung von Kani Yilmaz sind Teil der umfangreichen Absprachen, die die Bundesanwaltschaft schon im Vorfeld des Prozesses mit dem Angeklagten und dessen Verteidigern getroffen hatte. Die Verteidigung ermöglichte durch einen weitgehenden Verzicht auf Beweisanträge ein zügiges Verfahren – an den nur elf Verhandlungstagen dieses letzten großen PKK-Prozesses sind keine Zeugen vernommen worden, sondern Schriftstücke, etwa Vernehmungsprotokolle, verlesen worden. Im Gegenzug sagte die Bundesanwaltschaft zu, den Anklagevorwurf der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung fallenzulassen und am Ende des Prozesses nicht mehr als acht Jahre Haft zu beantragen. Teil der Absprache war auch die mit dem gestrigen Urteil verkündete höhere Anrechnung der Auslieferungshaft. Jeder Tag der insgesamt 1.014 Tage, die Kani Yilmaz nach seiner Verhaftung vor dem britischen Parlament in Auslieferungshaft gesessen hat, soll nach dem Urteil 1,2 deutschen Strafhafttagen entsprechen. Erst dadurch hat der ehemalige PKK-Europasprecher bereits jetzt mehr als die Hälfte seiner Strafe verbüßt.

In seiner gestrigen Urteilsbegründung sagte der Senatsvorsitzende Wolf-Dietrich Kupsch, daß es „keine unmittelbaren Beweise wie Protokolle oder ein schriftliche Anordnung dafür gibt“, daß der Angeklagte die ihm zuzuordnenden Anschläge veranlaßt habe. Dieser Beweis lasse sich indessen durch die Stellung von Kani Yilmaz innerhalb der PKK führen. „Er war bis zu seiner Verhaftung der erste Mann der PKK in Europa.“ Dies lasse zweifelsfrei den Schluß zu, daß er Anschlagspläne kannte und deren Folgen vorhersehen konnte. Nach dem Urteil soll der PKK-Sprecher, der sich längst der PKK-Selbstkritik an den Anschlagsserien angeschlossen hat, 1993 drei vollendete schwere Brandstiftungen, 22 versuchte schwere Brandstiftungen und 24 Sachbeschädigungen angeordnet haben. Jürgen Voges