Spitzfindiges Urteil

■ Pappkartons in der Bannmeile: 3000 Mark Strafe für GEW-Chef de Lorent

„Das Ergebnis mag überraschen“, sagte Richter Ronald Schill selbst über sein Urteil. In der Tat. Damit, daß er den Hamburger GEW-Chef Hans-Peter de Lorent gestern in einem Verfahren vor dem Amtsgericht wegen „Aufforderung zur Verletzung der Bannmeile“ zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 100 Mark verurteilte, hatten die wenigsten Anwesenden gerechnet. Der Staatsanwalt hatte auf Freispruch plädiert, weil er nach der Zeugenvernehmung erhebliche Zweifel daran hatte, daß de Lorent wirklich zu dieser Straftat aufrief. Anwalt Klaus Dammann kündigte Berufung an.

De Lorent wird beschuldigt, bei einer Protestkundgebung am 6. Oktober 1993 dazu aufgerufen zu haben, große Pappkartons auf dem Rathausmarkt abzustellen, obwohl dieser wegen einer Bürgerschaftssitzung polizeilich gesperrt war (taz berichtete). Zwei Polizeibeamte wollen gehört haben, daß der GEW-Chef seine Leute ziemlich deutlich dazu aufgefordert habe, die sogenannten Bildungsbausteine „vor dem Rathaus“ aufzubauen. De Lorent hielt dagegen, daß das nie seine Absicht gewesen sei und er sich außerdem ziemlich „sklavisch“ an sein Redemanuskript gehalten habe. Danach hatte er gesagt: „Wir werden sie so aufbauen, daß sie aus dem Rathaus nicht übersehen werden können.“ Der Staatsanwalt nahm einen Hörfehler seitens der Polizisten an, denn sämtliche Aussagen der anderen Zeugen widersprachen ihnen. Spontane eigene Entscheidungen seien es gewesen, die sie dazu bewogen, die Steine auf den Rathausmarkt zu tragen, erklärten die Pädagogen.

Ohne die Zeugenaussagen zu berücksichtigen drehte Richter Schill dem GEW-Chef de Lorent schließlich einen Strick aus seinen eigenen Angaben: Warum sagte de Lorent in seiner Rede, „wir werden sie aufbauen“, wenn er doch selbst angab, daß die Mauer aus Pappkartons bereits stand, als er seine Rede hielt? Der Richter ging deshalb davon aus, der Angeklagte hätte damit rechnen müssen, daß er mißverstanden werde. Er unterstellte dem GEW-Chef sogar, daß er als ausgebildeter Psychologe bei der Wahl seiner Formulierung beabsichtigt habe, daß sie auch als Aufforderung zur Verletzung der Bannmeile verstanden wird. Patricia Faller