Pünktlich im Himmel

Sie sang mit „Mein Freund der Baum“ den ersten deutschen Ökoschlager, hatte wunderbare Allüren, war chronisch nervös und irgendwie göttlich. Ihre Karriere zu Lebzeiten dauerte nur drei Jahre. Am 31. Juli 1969 starb sie bei einem Verkehrsunfall – Alexandra, heute ein Mythos, gerne erinnerter Teil westdeutschen Kulturguts. Ein neues Buch enthüllt und würdigt das Leben einer Frau mit eisenharten Ambitionen, ein Weltstar zu werden.  ■ Von Jan Feddersen

Der Bericht von Polizeiobermeister Wiggers formulierte nüchtern: „Am Donnerstag, dem 31.7. 1969, um 15.05 Uhr wurde die Polizeistation Tellingstedt fernmündlich verständigt, daß sich soeben auf der Bundesstraße 203 – Kreuzung Landesstraße 149 – ein schwerer Verkehrsunfall ereignet hatte.“ Weiter schilderte der Rapport: „Die Fahrerin, die hinter dem Lenkrad eingeklemmt war, konnte Sekunden später befreit werden, sie war aber bereits verstorben, als sie unter Anleitung des Arztes aus dem Pkw gehoben wurde.“ Und am Ende des Berichts hieß es zur Unfallursache: „Es kann hier nochmals wieder bestätigt werden, daß die Fahrerin Nefedov nicht die Vorfahrt beim Überqueren der beidseitig mit Vorfahrt gesicherten Kreuzung beachtete (Halt! – Vorfahrt achten!). Sie fuhr, ohne anzuhalten, zügig auf die Kreuzung.“ Und zwar chancenlos hinein in ein Lastauto.

Ein Verkehrsunglück wie viele andere, eines, wie es typisch ist für diese Gegend im Westen Schleswig-Holsteins, wo Jugendliche kaum mehr Attraktionen finden als ein paar gu geteerte Straßen in flacher Landschaft, die zur Raserei einladen. Der Tod der Fahrerin – und der ihrer ebenfalls im Auto sitzenden Mutter – interessierte dennoch nicht nur die Lokalredaktion der Dithmarscher Landeszeitung in Heide: Zu Tode fuhr sich an diesem heißen Sommertag die Sängerin Alexandra, die sich gerade auf dem Weg in einen Urlaub auf Sylt befand. Zeugen sollen ausgesagt haben, daß die frische Führerscheinbesitzerin vor Schreck das Gaspedal ihres Mercedes Benz getreten haben soll, statt auf die Bremsen zu gehen.

Was für ein Ende! Kein Regisseur hätte ihren Tod dramatischer inszenieren können. Sie hatte ja bis dahin nur drei Hits – aber was für welche. „Zigeunerjunge“, „Sehnsucht“ und – den ersten deutschen Ökoschlager – „Mein Freund, der Baum“. Klassiker deutschen Kulturguts mit schichtenübergreifend hohem Wiedererkennungswert bis heute. Kolleginnen wie Wencke Myhre, Siw Malmqvist oder Peggy March hatten mehr Erfolge. Doch Alexandra schien irgend etwas in den Menschen berührt zu haben. Sie war anders als die Manuelas und Renate Kerns der Branche. Sie mußte anders sein als sie: Kopien gab es genug.

Zu Lebzeiten verkauften sich ihre Schallplatten gut, mehr nicht. Was sie aber zu interpretieren wußte, kam wie gerufen. Es gab Schlagersängerinnen noch und noch, die die schönen Seiten der Liebe besangen, heitere Stückchen aus der Welt der Teenager, etwa im Sinne von „Beiß nicht gleich in jeden Apfel“ oder „Wo trägt man Blumen im Haar?“. Was fehlte, war eine, die die heimliche Melancholie der späten Sechziger verkörpert. Eine, die auch stimmlich so etwas wie vergangenheitsbewältigende Trauer glaubwürdig ins Mikro ausbringen kann. Alexandra füllte die Marktlücke binnen dreier Jahre. Die Umsätze ihrer Tonträger blieben bis heute konstant; eigentlich sind ihre CDs und LPs erst nach ihrem Tode sehr gut verkauft worden – als wollten die Menschen in ihren Liedern das Testament der Doris Nefedov, geborene Treitz, herauslesen: „Das Glück kam zu mir wie ein Traum.“

Ihr ist mittlerweile im Internet eine eigene Homepage gewidmet. Zu lesen stehen dort niederschmetternde Sätze voll kindlicher Anbetung: „Zersplitterte das Schicksal das Bündnisses zwischen ihrer Seele und ihrem Körper.“ Und: „Nach der Flucht vor dem roten Grauen wuchs sie im hohen Norden Deutschlands auf.“

Richtig ist, daß Alexandra Tochter einer Vertriebenenfamilie war, die nach dem Zweiten Weltkrieg wie Tausende anderer nach Schleswig-Holstein geflüchtet war. Aus dieser Herkunft hat Alexandra als Sängerin Kapital schlagen können: Heimatlose wie Weltschmerzler fanden in Liedern wie „Schwarze Balalaika“, „Sehnsucht – Das Lied der Taiga“, „Schwarzer Engel“, „Grau zieht der Nebel“ oder „Walzer des Sommers“ den richtigen Ton wieder – schwermütig, still, verzweifelt. Die Sängerin betonte immer, daß durch ihren Körper slawisches Blut fließt, daß sie eigentlich eine Zigeunerin sei, ein Tramp, einer, der nirgendwo ein Zuhause finden könne. Das kam beim Publikum gut an.

Ob solche Selbstauskünfte nun wahr sind oder erfunden, ist gleich. Alexandra mußte all diese Dinge behaupten – und später selbst dran glauben –, weil sie die erste Sängerin im deutschen Popbereich war, die nicht als Schlagerelse promotet wurde, sondern als künstlerische Persönlichkeit. Singen allein reichte nicht mehr – sie mußte als Mensch für alle Projektionen herhalten: Attribute wie Persönlichkeit und Authentizität waren gefordert, um sich nicht nur eine Saison lang oben halten zu können. Ihr Kollege Udo Jürgens stand Ende der sechziger Jahre vor dem gleichen Problem: Als Sänger allein, wußte er, ist er von Trends abhängig, als Künstler würde er Trends machen.

Der Berliner Autor Marc Boettcher, der kürzlich ein hintergründiges Buch über Alexandra geschrieben hat, weist darauf hin, daß die gebürtige Memelländerin Schwierigkeiten hatte, diesem Konzept auch zu entsprechen. Denn ihr Leben war alles andere als vorzeigbar. Sichtbar wird in seinem Buch eine Sängerin, die beinharte Vorstellungen von ihrer Karriere hatte. Sie wollte eine deutsche Juliette Gréco werden, eine, die in einer Reihe genannt wird mit Charles Aznavour, Gilbert Bécaud, Udo Jürgens (dessen Song „Illusionen“ sie kongenial interpretierte) und Hildegard Knef. Statt dessen war sie eine Ex-Miss Germany mit Kontakten zur kleinkriminellen Mafia, später zu einem Heiratsschwindler; eine, in deren Schlepptau die ganze Familie mit durchgefüttert werden mußte – samt zweier Schwestern, die Alexandra den Erfolg neideten. Zudem schildern Zeitgenossen Alexandra als grundsätzlich zickig, spröde und kühl – was im Showgeschäft nicht gegen sie sprechen würde, sich aber keine Sängerin am Anfang ihrer Laufbahn leisten kann: Welche Sängerin, die sich an internationalen Standards orientiert, hätte sich schon mit Kolleginnen aus der zweiten Reihe – wie zum Beispiel der biederseligen Renate Kern (“Lieber mal weinen im Glück“) – gemein machen wollen?

Offene Fragen, so ihr Biograph Marc Boettcher, bleiben genug. Hat jemand, vielleicht der sowjetische Geheimdienst oder die Mafia, das Unglücksauto manipuliert? Ist sie auf der Fahrt von Hamburg an die Nordsee verfolgt worden? Stand Alexandra etwa unter Drogen? Welche Rolle spielte der frühere Verlobte Pierre Lafaire? Alexandras Schwester Melitta Treitz schrieb dem Autor: „Sie fuhr aus Angst und Horror und aus Nervosität in den Tod.“ Oder sollte der Mercedes-Benz – von wem? – nur zum Stehen gebracht werden, um den Sohn Nikolai zu entführen? Oder war es einfach nur ein Unfall, der nur unzulänglich mit dem Wort Schicksal beschrieben werden kann?

Die Polizeiakten sind natürlich längst geschlossen und werden es auch bleiben. Daß es überhaupt so viele Mutmaßungen zu Alexandra gibt, daß sich die meisten Menschen an ihre Stimme, ihr Timbre, an ihr hartes wie weiches Gesicht erinnern können, beweist nur, daß sie den Aufstieg in den Pophimmel geschafft hat. Das wird nicht jeder toten Schlagersängerin zuteil. Wer weiß denn überhaupt, ob Alexandra, wenn sie noch lebte, nicht billige Lieder hätte singen müssen?