Ein Putsch könnte blutiger sein als US-Bomben

■ Unruhe ist in Bagdad nicht zu spüren. Statt mit Kriegsangst reagieren die Menschen mit Trotz

Bagdad (taz) – Krieg? Es herrscht offen zur Schau gestellte Gelassenheit in Bagdad. Der Frage nach der Angst vor der möglicherweise bevorstehenden amerikanisch-britischen Militäroperation wird allgemein mit einer gehörigen Portion Trotz begegnet. Die Antwort lautet fast überall: Man habe so viel durchgemacht, den jahrelangen Krieg mit dem Iran, bei dem auch Raketen auf Bagdad niedergingen, und später die Operation Wüstensturm mit all dem US- High-Tech-Gerät. „Was kann uns da noch schockieren?“

Der Kifah-Markt inmitten Bagdads ist so etwas wie eine Fieberkurve der irakischen Stimmung. Er ist Nachrichten- und Währungsbörse in einem. Den Schwarzmarkt-Geldwechslern, die mit einem dicken Bündel irakischer Dinar auf Kundschaft warten, entgeht keine Nachricht und kein Gerücht. Hier wechselt der Kurs von Dollar und irakischem Dinar fast stündlich. Wenn UN-Generalsekretär Kofi Annan seine Reise in die Region absagt, sinkt der Dinar sofort. Kündigt Saudi-Arabien an, daß seine Militärbasen für einen Angriff auf den Irak nicht zur Verfügung stehen, sinkt der Dollar. „Würden die Leute sich Sorgen über einen unmittelbar bevorstehenden Militärschlag machen, würde der Dinar innerhalb einer halben Stunde auf dieser Straße abstürzen“, erklärt ein Händler fast mit Stolz für seine zentrale Position in der Weltpolitik. In den vergangenen Tagen war der Dinar fast stabil. Zu Beginn der jetzigen Irakkrise war der Dinar sogar kurzzeitig gestiegen. Denn viele Iraker hatten gehofft, daß die Krise zu einem Ende der Sanktionen führen könnte.

Auch auf dem benachbarten Suq Schurja, dem Basar für alles, was zum Leben nötig ist, ist keine Unruhe zu verspüren. Panik- oder Hamsterkäufe seien bisher ausgeblieben, bestätigen mehrere Ladenbesitzer. Die meisten Menschen in Bagdad haben allerdings nach sieben Jahren Sanktionen kaum das Geld, überhaupt ihren täglichen Minimalbedarf zu decken, geschweige denn für alle Fälle vorzubauen und Vorratskammern zu füllen. Der Mann in der Falafel- Kocherei an der nächsten Ecke erzählt allerdings, daß einige der Händler bereits angefangen haben sollen, ihre Waren zu bunkern, um sie nach einem Militärschlag teurer zu verkaufen. „Für den Fall aller Fälle“, grinst er. Ein Großhändler für landwirtschaftliche Produkte, eine Basar-Ecke weiter, winkt ab. „Wir haben genauso viel oder wenig zu tun wie zu normalen Zeiten. Nicht die Amerikaner, sondern die Erntesaison bestimmt unseren Rhythmus“, sagt er.

Strategie aus Hoffnung und Mobilisierung

Der allgemeine Gleichmut hat auch einen psychologischen Hintergrund, erklärt ein UN-Mitarbeiter. Als die Amerikaner das erste Mal mit noch nie dagewesenen Militärschlägen drohten, habe niemand mehr über etwas anderes gesprochen. „Aber die Leute können nicht wochenlang in Alarmbereitschaft sein. Irgendwann schalten sie ab und gehen wieder zum täglichen Leben über. Das ist ein Überlebensmechanismus.“

Die Regierung versucht die Menschen mit einer Doppelstrategie aus Hoffnung und Mobilisierung bei der Stange zu halten. Ausgiebig berichten Fernsehen und Zeitungen von den Gesandten aus aller Welt, die sich auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung in Bagdad die Klinke in die Hand geben. Besonderes Augenmerk wird auf Solidaritätsbekundungen aus der arabischen und islamischen Welt gerichtet. Es kommt dann so an, als sei die ganze Welt gegen Washington und London und als werde es keinen Krieg geben. Sicherheitshalber erklären Iraks Medien aber auch stets, das Land sei vorbereitet, „jeglicher Aggression zu widerstehen“.

Doch es ist nicht die Angst vor den US-Waffen und Bomben, sondern die Sorge darüber, was Washington sonst noch in petto hat. Etwa einen Plan, einen Putsch zu initiieren. Das wäre für viele der größte Alptraum. Mangels Alternative zu Saddam Hussein könnte das Land im absoluten Chaos versinken. Kämpfe zwischen der Regierung in Bagdad, den Schiiten im Süden und den Kurden im Norden könnten das Land in mindestens drei Teile zerreißen. Saddam Hussein ist heute die Klammer, die das Land zusammenhält. „Ein Putsch könnte blutiger werden als jedes amerikanische Bombardement“, fürchtet so mancher unter der Hand, besonders diejenigen kurdischer oder schiitischer Abstammung. Karim El-Gawhary