■ Querspalte: Für eine Meinung mehr
„Der Patriarch von Hannover“, schreibt Rudolf Augstein, regiere „ebenso zäh, so schlau und so simpel wie der von Bonn“. Er sei „ein Praktiker der Macht und ein begnadeter Opportunist“. Ist Schröder wie Kohl, trägt dazu aber die Augenbrauenfrisur vom Waigel? Augsteins Analyse stammt von 1961 aus einem Nachruf auf Hinrich Wilhelm Kopf, den „roten Welfen“, der insgesamt elf Jahre lang niedersächsischer Ministerpräsident war.
Aber fördert der Blick ins Archiv mehr als eine zufällige Parallele zutage? Gut, daß wir diese Frage nicht beantworten müssen. Schröder selbst ließ es sich nicht nehmen, nachdem er 1986 mit dem unglaublich doppelsinnigen Slogan „Ein neuer Kopf“ zur Landtagswahl angetreten war, anläßlich Kopfs 100. Geburtstag das Wort zu ergreifen: „Was für ein Kerl!“ Und an dieser Stelle ruft plötzlich Alfred Döblin dazwischen: „Ein Kerl muß eine Meinung haben!“
Für einen, der dem „begnadeten Opportunisten“ Kopf folgt, darf's ein bißchen mehr sein. Deshalb liest Gerhard Schröder Die Woche. Das versichert er in Großaufnahme und schwer testimonialmäßig äugend in ganzseitigen Anzeigen, die im Moment wieder bundesweit erscheinen. Schröder liest Die Woche, weil sie „sagt, was Sache ist, und immer eine Meinung mehr hat als andere“. Hat sie eventuell sogar mehr als er? Hat sie alle? Oder hat sie nicht mehr alle?
Nein, nein, Die Woche ist schon in Ordnung und obendrein ja das Blatt, das unermüdlich für ihn plädiert, den Kanzlerkandidaten-Kandidaten mit der demoskopisch fundiertesten „Machtablösungsperspektive“. Zwei Elemente in einem selbstreferentiellen System, nennt man das womöglich heute. Eine Hand wäscht der anderen den Kopf, sagt der Volksmund, und Bissinger wird Pressechef im Bundeskanzleramt.
Schröder weiß übrigens auch: „Ja-Sager bringen uns nicht weiter.“ Es sei denn, es geht um Grundgesetzänderungen, die so unvermeidlich sind, daß man zu ihnen nichts anderes als ja sagen kann. Dietrich zur Nedden
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