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Der Revolutionär als Yuppie und andere schlimme Sachen

■ Jutta Brückners Film „Bertolt Brecht – Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen“ hält es mit dem Quellenmaterial nicht so genau

Daß FilmerInnen auch im Brecht-Jahr keine Brecht-Fiktion wagen, ist wegen der Empfindlichkeit der Erben hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte verständlich. Da bleibt nur das Genre des Dokumentarfilms. Es gab aber einmal Zeiten, als diese Gattung es sich zur Ehre anrechnete, Primärquellen und -dokumente zu präsentieren. Heute ist es möglich, etwas auf die Leinwand zu bringen, was wie ein Dokumentarfilm mit szenischen Einsprengseln daherkommt, aber weitgehend auf Sekundär- und auf Scheinquellen basiert.

Es ist ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß die 180 Seiten, die Peter Weiss in der „Ästhetik des Widerstands“ über Brechts Aufenthalt in Skandinavien schrieb, auf vielen Begegnungen und intensiver Zusammenarbeit basierten. Populär, weil scheinbar direkter Augenzeugenschaft entsprungen, wurde auch Weiss' Umdeutung der Brechtschen Kollektivarbeit vom Streben nach prismenartiger Erfassung der Wirklichkeit in gezielte Ausbeutung, vor allem von Frauen. Tatsächlich ist Weiss Brecht damals gar nicht oder nur flüchtig begegnet.

Wenn Jutta Brückners Brecht- Film Peter Weiss mehrmals als Zeitzeugen bemüht, verweist dies auf einen leichtfertigen Umgang mit Quellen, der sich im ganzen Film offenbart. Dieser setzt sich von allen bisherigen Dokumentarfilmen über Brecht – sowohl den freundlichen als auch den weniger freundlichen – vor allem dadurch ab, daß er den Dichter selbst so gut wie gar nicht zur Sprache kommen läßt. Ausgerechnet die sonettförmige Schweinigelei „Sauna und Beischlaf“ wird aber nicht nur zitiert, sondern auch szenisch dargestellt, um das wilde Treiben des Brecht-Harems 1940 in Finnland zu belegen. Dabei ist das Sonett 1948 in Zürich entstanden und war weniger als autobiographische Reminiszenz denn als Stichelei gegenüber Thomas Mann gedacht, mit dessen Scheinsignatur es Brecht in Umlauf setzte.

Daß Jutta Brückner auf bereits oft interviewte Weggefährten Brechts verzichten wollte, mag ein origineller Gedanke gewesen sein. Ausgezahlt hat er sich nicht. Zeitzeugen aus der ferneren Peripherie des Brecht-Clans haben nur Marginales zu berichten. Und was soll man davon halten, daß der quickig- nervöse Brecht in den szenischen Darstellungen durch den abgeklärt-glatten Yuppie-Typ Peter Buchholz dargestellt wird? Statt Dokumente sehen wir Illustrationen zu bekannten brechtkritischen Ideologemen, wo es suspekt bleibt, daß Brecht weder zu Frauen noch zu Ideen einen dem bürgerlichen Gesetzbuch entsprechenden festen Standpunkt hatte. Carl Pietzcker legt im Film die pathologische Deutung nahe, daß Brechts stets veränderliche Standpunkte seiner Herzneurose geschuldet waren. Wenn Brecht vorm Ausschuß für unamerikanische Tätigkeit als einziger auf die verfassungswidrige Frage nach der Parteizugehörigkeit Namen nannte, gilt das hier als Musterbeispiel seiner Unfähigkeit zu menschlicher Solidarität. Daß die andere vorgeladene Hollywoodprominenz dem Mann sieben Jahre lang Arbeit in ihren Studios verweigert hatte, fällt dabei unter den Tisch.

An John Fuegi gemahnt Brückners einfältige Identifizierung des zweiflerischen Brechtschen Kommunismus mit Bildern von Massendemonstrationen in Moskau und Ostberlin. Daß er manisch auf die Alternative „Hitler oder Stalin“ fixiert gewesen sei, die bürgerliche Demokratie als Ausweg aber verschmäht habe, wird nicht verziehen. Dabei müssen freilich Kleinigkeiten wie die von einer Großdemokratie abgeworfene Atombombe ebenfalls unter den Tisch fallen. Sabine Kebir

Forum: heute, 19.30 Uhr, Akademie der Künste

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