Dann bist auch du Roberta Breitmore

Ich, das ist eine andere: Die Künstlerin Lynn Hershman-Leeson ist diese Woche nicht nur bei der Berlinale zu Gast, sondern mit ihren Werken auch auf der Transmediale im Podewil vertreten. Ein Porträt  ■ Von Tilman Baumgärtel

Als erstes braucht man eine blonde Perücke. Dann muß man das Make-up auftragen. Aber keine Angst, dafür gibt es einen genauen Plan, der zeigt, wie man das blaue Augen-Make-up auf den Lidern verteilt, wie man sich das Rouge auf die Wangen pinseln muß. Auch für die Garderobe gibt es eine Liste von den richtigen Kleidungsstücken. Zieh dir einfach eins der Kleider an, das dir vorgeschlagen wird. Dann bist auch du Roberta Breitmore, eine junge, etwas neurotische Frau aus Los Angeles. Jeder kann es tun.

Roberta Breitmore war ein Alter ego, das sich die amerikanische Künstlerin Lynn Hershman-Leeson Anfang der siebziger Jahre zulegte. Unter dem neuen Namen gab sie Kontaktanzeigen auf und erschien zum ersten Date mit den Männern, die auf ihre Anzeigen geantwortet hatten, als Roberta verkleidet. Die Gespräche mit den männlichen Kontaktsuchenden schrieb sie auf und zeigte sie zusammen mit Fotos von den Treffen in Galerien.

Roberta ist nicht eine, sondern viele

Daneben hängte sie Skizzen von ihrer Maskerade, auf daß jeder Besucher seine eigene Roberta werden konnte. Fotos aus dieser Zeit zeigen Hershman unerkennbar verkleidet unter diversen anderen Robertas. Zuletzt war diese Arbeit in Berlin im Dezember letzten Jahres bei der „Deep Storage“-Ausstellung im Kulturforum zu sehen. In den 70er Jahren ging ihr Verwirrspiel mit Identität und Verstellung so weit, daß eine ihrer ersten großen Ausstellungen im Fine Art Museum in San Francisco 1978 den Titel trug: „Roberta Breitmore is not Lynn Hershman, Lynn Hershman is not Roberta Breitmore“ – quasi als nachträgliche Richtigstellung.

Diese Woche ist Lynn Hershman in Berlin, um neue Arbeiten vorzustellen: Bei der Berlinale ist die 57jährige mit ihrem Essayfilm „Conceiving Ada“ über die britische Adelige Ada Lovelace vertreten, die viele für „die Mutter aller Programmierer“ halten (siehe taz von gestern). Und heute wird sie bei dem parallel zur Berlinale stattfindenden Medienfestival Transmediale ihre letzten Projekte vorstellen. Die beschäftigen sich immer noch mit Fragen, die schon ihr Roberta-Projekt angeschnitten hatte. Identität, Gender, der Körper – Lynn Hershman, die heute Professorin an der University of California in Davis ist, hat sich an diesen Themen bereits abgearbeitet, als sie noch nicht zu modischen Gemeinplätzen der Kunstbetriebskunst avanciert waren. Ich, das ist für Hershman immer eine andere.

Kontakte nur über Fernsehen und Telefon

Bei ihrer Arbeit „Lorna“ (1979) war ein anderes Alter ego Hershmans zu sehen: wieder eine junge Frau, die sich vor lauter Angst nicht mehr aus ihrer Wohnung traut und mit der Welt um sie herum nur noch über Fernseher und Telefon in Kontakt tritt. „Lorna“ war mit dem damals brandneuen Medium Laserdisk realisiert worden. Mit einer Fernbedienung konnten die Zuschauer Lorna unterschiedliche Abenteuer erleben lassen – ein Vorläufer der interaktiven Medieninstallationen von heute.

Wegen Arbeiten wie dieser wird Hershman oft als „Medienkünstlerin“ geführt. Zuletzt hat das Medienmuseum in Karlsruhe bei ihr eine große Installation in Auftrag gegeben, bei der Besucher aus dem Internet als „Avatare“ durch das Museum geistern können. Und Hershman selbst teilt ihr Werk in die Perioden B.C. (Before Computers) und A.D. (After Digital) ein. Doch auch wenn sie mit Video und Film oder neuerdings mit dem Internet arbeitet, steht nie das Medium als solches im Mittelpunkt, sondern immer die Themen, mit denen sie sich seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn beschäftigt hat.

Im Podewil etwa hängt zur Zeit ein grausiger Puppenkopf namens Tillie. Wer sich im Internet auf ihre Homepage begibt, kann durch ihre Augen die Welt um sie herum sehen – denn in den Augenhöhlen von Tillie stecken zwei Webcams: „Werdet Tillies Augen“ steht darunter. Ich, das ist für Hershman immer noch eine andere.

Lynn Hershman-Leeson ist heute um 12 Uhr im Podewil zu Gast, die Adressen ihrer Homepages lauten: http://www.lynnhershman.com/

http://www.netdreams.com/regist ry/hershman/index.html

http://arakis.ucdavis.edu/hersh man/