Glut, Schweiß und Tränen

■ Musikalisch ein Ereignis und eine rasante Inszenierung obendrein: Henry Kriegers & Tom Eyens Motown-Musical „Dreamgirls“ als europäische Erstaufführung im Theater des Westens

Manch einer mag es vielleicht verdrängt haben, aber erfolgreiche Girlgroups gab es auch schon vor den Spicegirls. Und daß Mädchenbands sich wg. Männern, Karriere, Profilierungssucht und sonstigen Streitigkeiten in die Haare kriegen – diese Erfahrung machten TicTacToe auch nicht als erste. Wenn jetzt im Theater des Westens die „Dreamgirls“ um Ruhm kämpfen und dabei ihre Freundschaft zueinander aufs Spiel setzen, beschreibt dies nicht nur eine offensichtlich allgemeine Folgeerscheinung des Überlebenskampfes im Showbiz, sondern basiert recht unverhohlen auf dem Werdegang der „Supremes“ und Diana Ross.

In Henry Kriegers (Musik) und Tom Eyens (Buch) Musical versuchen Effie, Deena und Lorell (Jacqueline Irvin) ihren Weg zum Erfolg zu machen. Doch mehr als Backgroundvocals bei einem schmierigen Soulstar names Jimmy „Thunder“ Early steht man ihnen noch nicht zu. Derrik Harris gibt ganz den zappelnden, funky negro star, immer dicht am Vorbild James Brown und den Epigonen Prince bereits erahnen lassend.

Doch die Mädels arbeiten hart, und sie schaffen es. Ihre Karriere aber ist ein Produkt von Abhängigkeiten, Intrigen und Verletzungen. Um mit Rhythm & Blues und Soul ein größeres (also ein weißes) Publikum zu erreichen, muß die energiegeladene Musik zu sanftem Pop gezähmt werden.

Die Geschichte eines Verrats

„Dreamgirls“ erzählt so auch die Geschichte eines Verrats an den weißen Geschmack, der Anbiederung und Selbstbeschneidung. Radio-DJs werden bestochen, Songs widerrechtlich gecovert. Und die wohlleibige Effie, die mit ihrer prägnanten und vor allem voluminösen, sinnlichen Stimme den Sound des Gesangstrios bestimmt und angeführt hat, wird von ihrem kurzzeitigen Geliebten und Manager der Truppe, Curtis Tayler (aalglatt: Jérome Harmann), in den Hintergrund gestellt. Der hat längst seine Augen auf Deena geworfen, und sie baut er nun gnadenlos zum Star auf.

Cheryl Howards Deena gibt sich zunächst als willfähriges Opfer, das mit sich geschehen läßt, was die gemeinsame Sache, also der Erfolg verlangt. Bis sie Blut leckt: Die Fernsehkameras, die nur auf sie gerichtet sind. Die Modejournale, die nur sie fotografieren möchten. Längst heißt die Band „Deena Johns and the Dreams“, und schließlich ist Effie ganz draußen. Über Nacht ersetzt durch eine andere Sängerin. (Kein Wunder, daß sich Vorbild Diana Ross nicht sonderlich freundlich und sympathisch dargestellt fühlte und nach der Uraufführung des Musicals 1981 geklagt hatte – vergeblich.)

Der Librettist Tom Eyen hat viel in „Dreamgirls“ hineingepackt: Geschichten von Betrug und Gier, von Ehezwist und unglücklichen Lieben, von Enttäuschungen und Selbstbehauptung. Weil durchgehend englischsprachig gespielt und weil das ansonsten formidable Orchester unter Leitung von Marc Falcone bisweilen die Dialoge übertönt, wird dem deutschen Zuschauer die Textverständlichkeit nicht immer leicht gemacht.

Pummel Effie bringt den Saal zum Rasen

Da würde man gerne auf die eine oder andere psychologische Tiefe verzichten, um dafür den musikalischen Drive der Inszenierung (Tony Stevens) nicht unterbrochen zu sehen. Denn eines ist sicher: „Dreamgirls“ ist ein musikalisches Ereignis. Die Hauptrollen sind ausnahmslos mit überzeugenden, zum Teil sogar überwältigenden Stimmen besetzt. Mittendrin Aisha de Haas als Effie, die den Saal zum Rasen bringt, und das nicht nur, weil man dieser um ihren Ruhm geprellten Figur gern alle Sympathie entgegenbringt. Aisha de Haas läßt spüren, daß Soul irgendwie immer etwas mit Schmerz und tiefsten Gefühlen zu tun hat.

Nicht minder beeindruckend: Robin Wagners Originalbühnenbild der Broadway-Inszenierung. Vier bewegliche Scheinwerfertürme und intelligentes Lichtdesign – viel mehr braucht es nicht, um die schnellen Szenenwechsel zu ermöglichen. Und was um so überraschender ist: Dies alles wirkt opulenter und spannender als manch mit Plüsch und Plünnen überladene Inszenierung, die sonst in diesem Theater zu erleben ist. Und dann wären da noch die heimlichen Stars dieser Show: die Kostüme (von Marianne Schmidt). Kein Auftritt der Dreamgirls ohne Klamottenwechsel. Das geht wie im Fluge, und der Abend wird auf diese Weise zu einer nimmer endenden Modenschau. Ein Show- Jahrzehnt lebt wieder auf in all dem Glitzerkram, Tüllträumen in Pastell, pinkfarbenen Nerzen und gelben Boa-Kleidern. Im Vergleich dazu stecken die Spicegirls immer noch im Altkleidersack. Axel Schock

Bis 12. April, Di.–Sa. 20 Uhr,

So. 18 Uhr, Kantstr. 12