: Sex ohne Streß, Glück ohne Ende
■ Stundenlang vögeln, total relaxt: Rudolf Thomes „Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan“
„Ich bin neidisch“, sagt Luise (Cora Frost) morgens beim Frühstück im Garten des kleinen Landhauses. Denn Frank Mackay, ein Mann, der durchaus das Recht hat, etwas hölzern durch Rudolf Thomes neuen Film zu staksen – er ist immerhin ziemlich genau 1.114 Jahre alt –, hat in der vergangenen Nacht mit Laura Luna geschlafen. Aber was für ein profanes Wort für diesen Filmsex: Lange hat man keine so relaxt vor sich hin vögelnden Menschen gesehen. Thome verschont uns vor konvulsivisch zuckenden Becken, vor im sportlichen Wettkampf blöd Stöhnenden. Stundenlang bumsen ohne jeglichen Streß!
Thome hat das Kunststück vollbracht, wenigstens eine Utopie der 60er Jahre in die Gegenwart zu transportieren, die höchste (gesellschaftliche) Sprengkraft, Spaß und Lust verspricht. Ohne Revolutionstote: Unsere Vorfahren nannten es freie Liebe. Warum die 30 Jahre danach mehr diskreditiert wurden als Mao und Stalin zusammen, versteht man nach Thomes „Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan“ überhaupt nicht mehr. Natürlich muß Thome für dieses Paradies zu dritt die real existierenden Verhältnisse in diesem Land ein wenig, öhm, zurückstellen. Seine Tigerbabys und ihr Tarzan sind keine Wesen wie du und ich: Die Frauen sind direkt, zeigen ihr Begehren, gehen Risiken ein, tragen luftige Kleider mit fast nichts drunter, sind kreativ, intelligent, haben klasse Busen... Klingt unrealistisch oder wie aus der Cosmopolitan- Bestenliste? Egal.
Frank jedenfalls ist die pure Utopie, denn Frank kommt aus der Zukunft. Und da sind die Frauen ausgestorben. Aus der Zukunft hat Frank einen Stapel Goldbarren mitgebracht. Die werden bei Bedarf einfach in Geld umgerubelt. Genau so hatten wir uns doch die Zukunft vorgestellt: Geld ohne Ende und ohne Drecksarbeit – die machen die Roboter. Liebe ohne Bedingungen, Orgasmen nur vom Angucken. Nicht mal um die Verhütung kümmern sie sich. Laura und Luna kaufen in der Apotheke zwei Tests und sind beide schwanger. Und glücklich. Fertig. Dabei sind wir in einer Kleinstadt in Brandenburg, und sofort suchen wir nach Glatzen und Dummbeuteln auf der Straße. Sind aber keine da. Denn wir sind in der Zukunft. Statt der Frauen, sind die Idioten ausgestorben.
Vor über einem Vierteljahrhundert hat Rudolf Thome den Klassiker „Rote Sonne“ gedreht. Seine Schauspieler fahren immer noch in Cabrios an Seen, ziehen sich nackt aus und schwimmen vor sich hin. Am Ende wird gestorben, und das ist gut so, denn sonst würden wir vor lauter Glück- und Utopieseherei unser eigenes Leben für so langweilig, unkonsequent und unutopisch halten, daß es zum Heulen wäre. Aber dank der drei Tigerstreifenbabys wissen wir, wo wir eigentlich hingehören. In die Zukunft, ins sonnengelb bezogene Bett. Und endlich werden die Frauen flüstern: Du riechst so gut, Frank. Andreas Becker
Forum: heute, 17 Uhr, Akademie der Künste
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