piwik no script img

■ Die Ergebnisse des Dutroux-Berichts könnten Belgien überfordernEin Fall für Europol?

Schafft es Belgien, sich aus dem Justizskandal zu befreien? Der parlamentarische Untersuchungsausschuß zur Affäre Dutroux hat einen Sumpf aufgedeckt, dessen Trockenlegung das politische System des Landes überfordern könnte. Der gestern vorgelegte Abschlußbericht beschreibt einen zersplitterten Polizei- und Justizapparat, in dem nichts funktioniert.

Die von Dutroux ermordeten Mädchen könnten noch leben, wenn sich Untersuchungsrichter verantwortlich gefühlt hätten und Hinweisen nachgegangen wären. Doch das System funktioniert nicht, weil Parteieninteressen wichtiger sind als die Aufklärung von Verbrechen. Die Parteien haben die Ermittlungsbehörden in der Hand, und zwar nicht als Ganzes, sondern stückchenweise. Die Gendarmerie steht unter der Fuchtel der Sozialisten, ebenso die Justiz im französischsprachigen Wallonien. Die Justizpolizei dagegen wird von den Liberalen und Christdemokraten gegängelt, die in Flandern auch die Richter und Untersuchungsbehörden an der Leine haben.

Die Parteien bestimmen über die Besetzung der Ämter und erwarten dafür Gegenleistungen: Redest du mir nicht drein, regier ich dir nicht drein. Lange Zeit galt die Macht der Politiker, Ermittlungen zu beeinflussen, als Service am Bürger. Wer Probleme mit der Polizei hat, wendet sich an seinen Abgeordneten. Doch die unkontrollierte Einflußnahme hat bei vielen Politikern dazu geführt, sich über dem Gesetz zu fühlen. „Macht ist dazu da, sie zu mißbrauchen“, hat der frühere Sozialistenchef André Cools einmal gesagt. Er wurde 1991 ermordet, vermutlich wegen eines Streits um Bestechungsgelder und vermutlich von Parteifreunden.

Oft ist die direkte Einflußnahme gar nicht mehr nötig. Untersuchungsrichter verfolgen selten Spuren, die zu Konflikten mit Politikern führen könnten, denen sie sich verpflichtet fühlen. Das Dossier von Nihoul, dem mutmaßlichen Hintermann der Kindesentführungen, wurde in Brüssel unter Verschluß gehalten, ein Untersuchungsrichter angewiesen, die Finger davon zu lassen. Nihoul hatte Freunde in allen großen Parteien. Er hat für sie nachweislich zwielichtige Geschäfte abgewickelt. Es gebe keine Beweise dafür, faßt der Untersuchungsausschuß zusammen, daß Dutroux und Nihoul von Politikern beschützt worden wären. Doch habe man viele Hinweise gefunden, daß die beiden von den Ermittlern selbst gedeckt wurden. Beide seien von der Polizei als Informanten geführt worden, doch hätten die Informanten in Wirklichkeit die Polizei kontrolliert. Einiges deute darauf hin, daß Polizeibeamte bei Autoschiebereien mit Dutroux zusammengearbeitet hätten.

Mit anderen Worten: Einige Ermittler haben die Nachforschungen verschleppt. Sie fühlten sich sicher, weil die Einflußnahme auf Ermittlungen üblich ist. Das Entsetzen über die Kindermorde hat eine Reihe anderer Justizskandale aus den vergangenen Jahren wieder hochgespült. Eine endlose Reihe von Untersuchungsausschüssen förderte immer wieder dasselbe Ergebnis zutage: Akten verschwanden, Ermittlungen wurden verschleppt, Verdächtige gewarnt. Die Spuren weisen nach oben, aber weiter kamen auch die parlamentarischen Nachforschungen bisher nicht.

Das Problem, daß eine abhängige Justiz nicht wirksam ermitteln kann, ist bekannt. Aber die Parteien sträuben sich gegen eine Einschränkung ihrer Macht. Eine unabhängige Justiz würde zu einer abgehobenen Klasse von Apparatschiks führen, wetterte kürzlich der flämische Sozialistenchef Louis Tobback. Die Diskussion um die eilig versprochenen Reformen spiegelt deshalb auch vor allem die Parteiinteressen wider. Die Sozialisten wollen die Justizpolizei entmachten, die Christdemokraten die Gendarmerie. An die Justiz traut sich bisher keiner heran, weil das Problem auch noch vom flämisch-wallonischen Dauerkonflikt überlagert wird, der alles lähmt. Doch das Problem ist längst kein belgisches mehr. Internationale Auto- und Waffenschieber, die Fleischmafia und Pädophilenringe nutzen offensichtlich die Unfähigkeit der belgischen Justiz, um von hier aus zu operieren. Trotz aller Bedenken: Wenn es ein Argument für Europol gibt, dann Belgien. Alois Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen