Das rechte Gespenst haust in der Pfalz

Die neue Hochburg der Rechtsradikalen in Westdeutschland. Skinheads terrorisieren die Bevölkerung  ■ Aus Main Klaus-Peter Klingelschmitt

„Positive Lebensgestaltung“ nennt es Bewährungshelfer Manfred Fink. Sein Schützling, der Ludwigshafener Neofaschist Christian Hehl (29), hatte in seiner Heimatstadt gerade „Hehl's World“ eröffnet. Ein Laden nur für eine Klientel: Rechtsradikale aller Schattierungen aus der gesamten Pfälzer Region. Reichkriegsflaggen und Deutschlandfahnen hat Hehl im Angebot. Hardrock rechtsradikaler Gruppen und Marschmusik auf CDs. Plakate und Bücher „aus Deutschlands großer Zeit“ (Hehl). Und „germanischen Schmuck“.

Hehl ist kein Unbekannter. Im Juni 97 geriet der schon vorbestrafte Ex-Chef der Hooligantruppe „The Firm“ und ehemalige Führer der „Aktionspartei Nationale Kameraden“ (ANK) in eine Auseinandersetzung mit linken Skinheads. Er attackierte einen seiner Kontrahenten mit einem Knüppel und einem Messer. Bewährung für Hehl, der 1995/96 wegen diverser Straftaten 15 Monate Haft absitzen mußte. Unter anderem hatte er bei der Auflösung der Gründungsversammlung der ANK-Kameradschaft Stuttgart im Jahre 1994 durch die Polizei einen Beamten tätlich angegriffen.

Seit seiner Entlassung kümmert sich Hehl um die Skinheads von Ludwigshafen und die Hooligans des SV Waldhof Mannheim. Der Neofaschist als Sozialarbeiter? Hehl sei seit der Verurteilung zur Bewährung nicht mehr straffällig geworden, sagt sein Bewährungshelfer. Daß Hehl's World zum logistischen Knotenpunkt der braunen Szene avanciert ist, wie Antifaschisten herausfanden, sagt er nicht. Das „Experiment Hehl“ – so nennt Fink den Versuch, den passionierten Rechtsradikalen über eine bürgerliche Existenz als Ladenbesitzer zu zivilisieren – müsse unbedingt weitergeführt werden.

Antifaschisten und vor allem Ausländer, die in Ludwigshafen und Mannheim wiederholt Opfer rechtsradikaler Schlägerbanden wurden, sehen das anders, wie im Antifaschistischen Info-Blatt nachzulesen ist. Da wird Hehls Bewährung als „sozialer Freilandversuch“ bezeichnet, der nun in die nächste Phase gehe. Offenbar mit Duldung seines Bewährungshelfers dürfe der Mann weiter seine Kontakte zu Alt- und Neofaschisten und zu den Skinheads pflegen.

Gut sechzig gewaltbereite rechte Skins könne er „sofort mobilisieren“, habe sich Hehl erst vor wenigen Wochen in seinem Laden gebrüstet. Hehl's World: ein Geschäft, geführt von einem Rechtsradikalen für Rechtsradikale. Das, sagt ein Antifaschist aus Ludwigshafen verbittert, würde es tatsächlich „nur in Rheinland-Pfalz“ geben.

Eine Bürgerinitiative mit gut zwanzig Mitgliedern hat es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, Hehl's World permanent zu beobachten, um gegebenenfalls „politisch eingreifen“ zu können, wie BI-Mitglied Bernhard Braun, Abgeordneter der Bündnisgrünen im Landtag, der taz berichtet.

Die Skins in Ludwigshafen und Mannheim nennen sich „Doitsche Offensive“ oder „Der Feldzug“. Und auch die Schläger von „The Firm“ – Hehls erste Truppe – haben sich 1997 neu formiert. „Harte Burschen“ seien da am Werke, berichtet ein ehemaliger „freier“ Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Rheinland-Pfalz.

Der Anfang der 90er Jahre aufgelösten Wehrsportgruppe Hehl, berichtet der Mitarbeiter, habe auch Norman Kempken angehört, einer der Initiatoren der berüchtigten Anti-Antifa-Terrorliste – eine Todesliste der Rechtsradikalen mit den Namen von Antifaschisten und linken Journalisten aus ganz Deutschland. Und in den Skinheadbanden, so der Ex-Freie des Verfassungsschutzes weiter, seien heute junge Männer aktiv, die sich nach der Auflösung der ANK 1993 als Söldner verdingt hätten: auf seiten der Serben im Krieg auf dem Balkan.

Skinheadbanden sind inzwischen in der Pfalz zu einer permanenten Bedrohung für die Bevölkerung geworden. Alleine von Juni bis August 1997 sind acht Großeinsätze der Polizei gegen Schläger aus der rechtsradikalen Szene notwendig geworden. So steht es in einer Antwort des rheinland-pfälzischen Innenministers Walter Zuber (SPD) im Landtag.

Die den Skinheads zuzuordnenden Gruppen seien an diversen Orten bei Veranstaltungen aufgetaucht, hätten die Gäste provoziert und sie körperlich angegriffen. Auch dort, wo der Kanzler im Deidesheimer Hof seine Gäste gerne mit Saumagen bewirtet, schlugen die Skins zu: Auf der „Weinkerwe“ in Deidesheim pöbelten rund 30 Glatzköpfe die Festgäste an und inszenierten eine Schlägerei. In Flörsheim wurde ein Besucher des dortigen Weinfestes von den Skinheads zu Boden gerissen und anschließend mit Springerstiefeln attackiert. Überfälle auch in Kirchheim beim Rebblütenfest, in Alzey und in Kirchheim-Bolanden. Dort war es kurz vor Weihnachten zu einer von rund 25 Skinheads provozierten Massenschlägerei mit Ausländern vor einem Bistro gekommen. Dabei wurden ein schwarzer US-Bürger und ein Skinhead durch Messerstiche schwer verletzt. Der Heß-Gedenkmarsch 96 fand in Worms statt.

„Die Pfalz ist inzwischen das Brandenburg der alten Bundesländer geworden“, sagt ein Mitarbeiter der Bündnisgrünen im Landtag. Das sieht auch die Vorsitzende der Landtagsfraktion der Partei so. Für Friedel Grützmacher, Jahrgang 1942, ist die Pfalz heute „eine Hochburg der Rechtsradikalen in Deutschland“. Und das eigentlich Gefährliche an der ganzen Geschichte sei, daß das „merkwürdig harmoniesüchtige pfälzische Volk“ die Augen vor dem Terror der Skinheadbanden und auch der „permanenten politischen Wühlarbeit“ der Neofaschisten verschließe. Obwohl gerade die Leute auf dem Lande die Opfer der Neonazi-Attacken seien.

Innenminister Zuber hat inzwischen dafür gesorgt, daß beim Polizeipräsidium in Mainz eine Arbeitsgruppe eingerichtet wurde. Die Landesregierung, so Zuber, nehme die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgehe, „sehr ernst“. „Mit Besorgnis“ verfolge man gerade die Entwicklung in der Skinheadszene. „Deshalb werden auch alle Gruppen weiter vom Verfassungsschutz beobachtet. Die „Republikaner“ (Reps) darf der Verfassungsschutz nach einem Gerichtsurteil dagegen nicht mehr überwachen.

Ende Dezember 97 gab es einen ersten Fahndungserfolg zu vermelden. Geschnappt wurden die mutmaßlichen Schänder der jüdischen Friedhöfe von Busenberg und Neustadt. „Juda verrecke!“ oder „Solidarität mit Priebke“ war auf die gewaltsam umgerissenen oder umgetretenen Grabsteine gesprüht worden.

Die teilweise geständigen jungen Männer, denen rund zehn weitere Straftaten, darunter eine Kirchenschändung, vorgeworfen werden, gehören fast alle der rechtsextremistischen „Aktion Sauberes Deutschland“ (ASD) an. Der Verein war 1986 von dem heute 51jährigen Ernst Tag aus Ludwigshafen gegründet worden. Aus der ASD ging ein Jahr später das „Internationale Hilfskomitee für national politisch Verfolgte“ (IHV) hervor. Dessen „Führer“, einem 22jährigen aus Pirmasens, lasten Polizei und Staatsanwaltschaft die Planung der ersten Friedhofsschändung in Busenberg an. Auf die Spur von ASD und IHV gebracht hatte die Polizei allerdings nicht der Verfassungsschutz, sondern ein anonymer Anruf bei der jüdischen Kultusgemeinde in Neustadt.

Daß den Rechtsradikalen gerade im ländlich strukturierten Raum alleine mit der Polizei nicht beizukommen ist, weiß man inzwischen auch in Mainz. Oft ist die nächste Polizeistation kilometerweit vom Tatort entfernt. Und ganze Polizeikontingente sind nur von zentralen Orten wie Mainz, Kaiserslautern, Worms, Ludwigshafen oder Pirmasens aus in Marsch zu setzen. So konnten Ende 97 rund dreißig Skinheads in Zweibrücken knapp zwei Stunden lang Passanten mit Pitbulls durch die Straßen jagen. Ein 12jähriges Mädchen wurde dabei von den Skins mit Handschellen an einen Metallpfahl gefesselt und mit einem Messer bedroht. Vier Streifenwagen der Polizei irrten zeitgleich durch die Stadt – auf der vergeblichen Suche nach den Gewalttätern.

Friedel Grützmacher fordert jetzt ein landesweites Präventionsprogramm gegen Rechts. „Ein vielleicht mühseliges, aber notwendiges Geschäft.“ Runde Tische überall. Auf ihre Initiative hin ist einer schon aufgestellt worden: in Landau. An ihm sollen alle Platz nehmen, die in der Stadt an der Grenze zum Elsaß mit Jugendlichen arbeiten; „auch und gerade die Trainer aus den Sportvereinen“.

Grützmacher gibt sich entschlossen: „Das rechte Gespenst muß aus den Köpfen der jungen Leute vertrieben werden.“ Nur so bestehe die Chance, den Rechtsradikalen in der Pfalz den (Nähr-)Boden zu entziehen. In Ludwigshafen bedient der braune Hehl derweil weiter seine braune Kundschaft. Gerüchten nach will er sein Geschäft erweitern – um eine „Sportabteilung“: Baseballschläger, Butterfly-Messer, Wurfhölzer.