Kettensägenmassaker

■ Weg mit dem wunderbar verlotterten Gerätespielplatz: Die Neustadt-Wallanlagen sollen runderneuert und größer, schöner, kinderfreundlicher werden

Oh weia, ein „chainsaw massacre“in der Schule am Leibnizplatz! Wer den schönen Film „Fargo“noch nicht kennt, wäre gestern auf dem Schulparkplatz vis a vis der Shakespeare Company auf seine Kosten gekommen. Drei bullige Kettensäger kettensägten und schredderten dort im Auftrag der Firma „Lindenlaub“mit fröhlichem Krach und professionellem Gesichtsausdruck Gestrüpp und stämmige Pappeln neben dem Plattenweg weg. Dürfen die denn das? So fragten sich viele Bürger und riefen entsetzt die „Planungsgruppe vor Ort“am nahegelegenen Platz „Am Neuen Markt“um Hilfe.

Die richtige Antwort ist: Ja, sie dürfen. Der städtische Eigenbetrieb „Stadtgrün“ist der Drahtzieher des Massakers, die Ausführung hat „Lindenlaub“übernommen, und bei so schönen Namen kann doch gar nichts anderes als was Schönes entstehen. Eben. Eine runderneuerte Wallanlage für die Neustadt, größer, weiträumiger, kinderfreundlicher.

Die Passanten hingegen, die scheu an den Männern mit den großen gelben Ohrenschützern vorbeistrichen, wußten davon nichts. Und gaben sich entsprechend gnadenlosen Spekulationen hin: Eine Vergrößerung des Parkplatzes auf dem Schulgelände vielleicht? Zugunsten anrollender Theatergäste? Quatsch! „Das ist wegen der Pappelspinner“, so resolut eine ältere Spaziergängerin mit Seidenschal. Wegen wem bitte? „Na ja, wegen dieser Würmer unter der Borke! Sehen Sie, die Bäume sind doch alle ganz grau in der Mitte.“

Falsch geraten, gute Frau, junger Mann. Wo zur Zeit die Späne fallen, soll bis zum Jahrtausendende von der Friedrich-Ebert-Straße bis rüber zur Langemarck Straße eine weiträumige Grünanlage entstehen – der erste Abschnitt einer Neustadt-Lunge, damit in ferner Zukunft sogar einmal der alte Wall um Bremen wieder geschlossen wird. Dies zumindest ist der Traum von Klaus Rautmann.

Was einst durch den Kasernenstandort in der Neustadt brutal zerstört wurde, könnte in den nächsten Jahren zu neuem Leben erwachen. Und zwar weit über die Friedrich-Ebert-Straße, mit einer Brücke rüber über die Piepe bis zur Weser hin. Als technischer Leiter von Stadtgrün Bremen aber geht Klaus Rautmann diese Vision pragmatisch an. „Wir beginnen jetzt erstmal mit der Neugestaltung des Spielplatzes hinter dem Hallenbad Süd und der Entsiegelung des Parkplatzes auf dem Schulgelände.“Damit wird über die Schulstraße hinweg eine erste Verlängerung der Wallanlage angegangen. Die Autos auf dem Schulgelände kommen weg, statt dessen wird ein bißchen ausgeschachtet für einen Schulsportplatz mit Weitsprunganlage – und natürlich wieder mit Bäumen drumherum. Die Autos kriegen ihre Parkplätze in der Schulstraße, zwischen Hallenbad und Schule – dafür wird die Gasse, in der heute ein paar hilflose Schildchen 'Vorsicht Schulkinder!' rufen, zur Fußgängerzone umfunktioniert.

„Eine große Sichtachse von der Schule bis hin zur Langemarckstraße!“erklärt Klaus Rautmann das damit eingeläutete Ziel: „eine große grüne Rasenfläche, die weithin überschaubar“sei und „angstfreie Räume“auch für abendliche Spaziergänger schaffe. Eine Achse, ja, aber „nein, Gott bewahre!“, keine baumlose Schneise. „Auslichtung“ist das Stichwort im Amt „Stadtgrün“, wenn es um die 29 Bäume geht, die dieser Tage trotz Baumschutzsatzung fallen müssen. Plus einige „schwachwüchsige Bäume“und eine Menge Strauchwerk. Dafür entsteht auf der alten Polizeisportanlage eine „sanft modellierte Parkwiese“, so die offizielle Prosa des Erläuterungsberichts. Einzelne Bäume werden in der behügelten Rasenschneise, pardon: „-achse“viel besser zur Geltung kommen. Und vor allem die Spielmöglichkeiten werden erweitert.

Weg also kommt der wunderbar verlotterte Gerätespielplatz hinter dem Hallenbad. Die vier Eltern, die dort gestern ihren Kindern beim Werkeln zwischen den Baumstümpfen zuguckten, sind darüber nicht traurig: „Im Sommer ist das hier total überfüllt. Da kriegst du kaum einen Stehplatz“, klagt Mutter Ursula Engeroff. Eine Vergrößerung des Spielareals, gar ein „Spielhain mit naturnahem Charakter“, Bäche, Spieldorf, Hängebrücken. Nichts gegen einzuwenden. Zwei Minuten später aber ist das Gespräch dann doch wieder bei den deutschen Lieblingsthemen Müll und „Tretminen“angelangt. Ob sich das im künftigen Spielhain ändern wird?

Über das Staunen der Mitbürger, die von all den Zukunftsaussichten nichts wissen, staunt man wiederum im Ortsamt Neustadt. Aber man werde jetzt nochmal Info-Täfelchen aufstellen. ritz