Unheimlicher Kern

Von der Stalinallee zum Spreebogen. Was ist ein deutsches Monument? Die Ausstellung „Macht und Monument – Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 2000“ im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt/Main bleibt seltsam steinern  ■ Von Jochen Becker

Monument als kulturell codierte Botschaft in Stein oder Text, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann, sei, „was dazu bestimmt ist, die Gegenwart zu überdauern und in diesem Fernhorizont kultureller Kommunikation zu sprechen“. Was ist ein Monument? Im Rahmen der Ausstellung „Macht und Monument“ im Frankfurter Architektur-Museum wird darunter einmal ein Einzelbau verstanden, ein anderes Mal meint es auch Stadtplanung und wird als nationales Spezifikum oder vom Nationalstaat Geplantes betrachtet. Man sträubt sich freilich, „Bauten der Gemeinschaft“ wie die Neue Messe Leipzig, aber auch Firmensitze und Fabrikanlagen als Monumente anzusehen. Die in der Ausstellung vorgestellte „Stadt des KdF-Wagens“ war zuerst eine kriegsbedingte Stadtgründung, bevor Wolfsburg in Kommune und VW-Werk aufgeteilt wurde. Und auch das als Fotoarbeit von Günter Förg präsentierte Frankfurter IG- Farben-Haus wurde zwar für das Chemiekartell gebaut, diente jedoch die längste Zeit als Sitz der US-Militärregierung und soll nun zur Uni umgebaut werden.

Doch was ist ein deutsches Monument, was meint die deutsche Moderne? Für die umfangreiche Ausstellung, die mit zahlreichen Originalskizzen und Modellen bestückt ist, erklärt Hartmut Frank den Unterschied anhand der Auftragslage: Nicht der Pariser Eiffelturm oder der glasbesetzte Kristallpalast von London, sondern der wuchtige Deutsche Reichstag, die versteinerten Bismarck-Türme oder nationale Großdenkmäler boten Aufträge, an denen sich der reichsdeutsche Architekturnachwuchs abarbeiten mußte.

Die aktuelle Ausstellung schließt eine Trilogie über moderne Architektur in Deutschland ab, welche vom damaligen Direktor, Vittorio Magnago Lampugnani, mit „Reform und Tradition“ (1992) und „Expressionismus und Neue Sachlichkeit“ (1994) ihren Anfang nahm. Nach Direktionswechsel, Kurskorrektur und Finanzkrise betreut Romana Schneider zusammen mit dem aktuellen Direktor Wilfried Wang die Fortsetzung. Nun umfaßt die Schau das gesamte Jahrhundert, wobei der permanente Hauptstadtbau Berlins den unheimlichen Kern der Ausstellung bildet. Im Vorspann erfährt man von bedrohlichen Zerreißproben, Einwänden des wissenschaftlichen Beraterkreises, aufkommenden Verwirrungen und eingehenden Absagen. So wollten sich die beiden so unterschiedlichen Architekten Günter Behnisch – Erbauer des Münchner Olympia-Areals wie des Bonner Bundestages – und Oswald Mathias Ungers – verantwortlich für Frankfurts ausgreifende Messebauten oder die tempelhafte Botschaftsvilla in Washington – unter „Macht und Monument“ nicht eingeordnet sehen. Axel Schultes hingegen, der mit Charlotte Frank das Parlamentsviertel im Spreebogen wie auch das Kanzleramt entwarf, zeigt keine Scham und illustriert das „Band des Bundes“ mit meterbreiten Farbgraphiken: „,Dem deutschen Volke‘ Staat zeigen“ hieß schon 1992 sein Motto. Wir haben verstanden.

Der Spreebogen als umkämpftes Terrain

Aus 835 Bewerbungen heraus wurde der Spreebogen-Entwurf von Schultes/Frank fast ohne Widerrede erwählt, während zur gleichen Zeit noch Behnischs ungleich gebrochener angelegter Parlamentsbau abgefeiert wurde. Wolfgang Kils Katalogbeitrag datiert die merkwürdig unausgesprochene Konfliktlinie auf 1977 zurück, als nämlich beim Bau der Stuttgarter Staatsgalerie der postmoderne James Stirling überraschend gegen den Lokalmatador Behnisch gewann. Diese Entscheidung brachte den Postmodernen eine Meinungsführerschaft, welche der Gründungsdirektor des Frankfurter Architektur-Museums, Heinrich Klotz, durch Wort, Bild und Tat zu festigen wußte. Auf Nachfrage äußert Schultes dann auch, damals „klipp und klar auf Stirlings Seite“ gestanden zu haben.

Der Spreebogen vor dem Reichtstag gilt als dauerhaft umkämpftes Terrain und reicht vom Truppenübungsplatz („Berliner Sahara“) über antiparlamentarische Intrigen zwischen Kaiser- und Drittem Reich bis zum aktuellen „Band des Bundes“. Über ein Jahrhundert hinweg gab die deutsche Architekturelite am Regierungssitz Spreebogen Visitenkarten in Form von Entwurfsskizzen ab. Martin Mächlers jetzt 90 Jahre alter Entwurf einer monumentalen Nord-Süd-Achse entwickelte sich über Hitlers „Germania“-Planung bis zum aktuellen Tiergartentunnel zwischen Zentral- und Südbahnhof fort. Die „Neuordnung des Verkehrs“ ist hierbei ein der Moderne tief eingeschriebener Generator zwischen Stadtzerstörung und Sozialumbau. Völlig maßstabslos hierin ist die Stadtplanung unter Generalbauinspektor Speer, welcher die alliierten Bombenteppiche als vorweggenommenen Abriß begrüßte und eine Große Halle plante, die noch die Antennenspitzen des vergleichsweise dürren Frankfurter Commerzbank-Turms um 20 Meter überragt hätte. Der alte Reichstag daneben war in seiner zur Hütte geschrumpften Dimension nur mehr als Archiv- und Kantinengebäude vorgesehen.

Übrig bleibt nach dem Krieg ein verwüstetes Gelände, so daß das säuberlich angelegte Sowjetische Ehrenmal hierin anfänglich wie eine Oase wirken konnte. Als „Vorhaltefläche“ schlummerte der Spreebogen bis zur Grundsteinlegung des Deutschen Historischen Museums Ende 1987. Eine lustige Fußnote der Geschichte bildet der „Eiserne Hindenburg“ aus Holz, in den man eiserne, silberne oder gar goldene Nägel hineintrieb, um die Kriegsopferversorgung während des Ersten Weltkriegs zu unterstützen. Das Standbild auf dem Königsplatz verschwand mit den revolutionären Demonstrationen von 1918.

Ein Monument in Gebrauch

„Nicht Achse, Symmetrie und Monumentalität an sich, sondern deren Nutzung und gesellschaftlicher und politischer Zusammenhang sind eben entscheidend für jede Bewertung“, schreibt Winfried Nerdinger. Anschaulich zeigt dies das ausgestellte Agitationsfoto mit Rotfrontkämpferbund, welche auf dem Denkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht demonstrieren. Ludwig Mies van der Rohe, der später für den Nationalsozialismus einen hakenbekreuzten Weltausstellungspavillon bauen sollte, hatte das gestaffelt betretbare und mit Stern, Hammer und Sichel sowie Fahnenmast funktional versehene Bauwerk 1925 auf dem Friedhof Berlin- Friedrichsfelde errichtet. Heute erinnert ein schlichter Findling an die Ermordeten, denn der geziegelte Mauerblock wurde ebenso wie Walter Gropius' gezacktes Denkmal für die Märzgefallenen in Weimar von Faschisten zerstört. Als Monument in Gebrauch zeigt ein Poster das Münchener Olympiagelände, das mit seiner Hippie- Abhäng-Atmosphäre auf den grünen Hügeln vor den Zelten für ein neues Westdeutschland wirbt.

Das statisch Monumentale zeigt sich in der „Doppelwirkung von Stadtplanung und von Bauwerken der Moderne“ (Romana Schneider), wobei ihre soziale Nutzung – freiwillig oder rituell arrangiert – nur selten dargestellt wird. Während Jörn Düwel die DDR-Stadtplanung weitgehend mechanistisch auf Marsch-, Beschallungs- und Demonstrationspläne reduziert und dabei in falscher Vereinheitlichung den erheblichen parteiinternen wie fachwissenschaftlichen Protest unerwähnt läßt, stellt Simone Hain die festliche Inbesitznahme des Ostberliner Zentrums nach. Mit guter Kleidung flanierte man durch die neuen Viertel, schaute von den Türmen am Strausberger Platz übers Areal, nahm Geschäfte wie soziale Einrichtungen in Besitz oder feierte in parteistraffer Inszenierung auf der Straße. Das „Nationale Aufbauwerk“ war von Fachkonferenzen wie auch öffentlichen Bauausstellungen durchzogen, deren Planwerke zumindest für Interessierte zugänglich. Bis Ende der 50er Jahre behielt die „Diktatur der Architekten“ gegenüber den später siegreichen Bautechnologen und Ökonomen noch die Oberhand. Danach lief das „Gefecht um das neue Bild der Stadt in zunehmend geschlossener Gesellschaft ab“ (Hain) und diktierte der Wendekreis des Plattenbaukrans die Siedlungsstruktur.

„Das alles gehört dir“, verhieß 1950 eine Broschüre zur Stalinallee und verwies nicht zuletzt auf die lang erträumte Überwindung der Eigentumsgrenzen. „Unsere ... städtischen Zentren werden [nicht] der alten City, der Geschäftsstadt gleichen ... Sie dienen in Zukunft anderen, öffentlichen Interessen“, schrieb der ehemalige Gropius-Mitarbeiter Richard Paulick in einem Zeitungsbeitrag. Entgegen der eigentumsorientierten Privatwirtschaft im Westteil setzte die Hauptstadt der DDR auf öffentliche, staatliche wie kulturelle Bauwerke. Nach der Wende sorgten die Masterpläne um so eifriger, mit Wiedereinführung der Parzelle als kleinste Besitzeinheit bei gleichzeitiger Verwerfung großmaßstäblicher Gesellschaftsräume Rückübereignung, Grundstücksrekonstruktionen und Eigenheimbildung zu forcieren.

Abriß faszinierte Speer wie Le Corbusier

„Vom Gesichtspunkt der Verwaltung des Raums bedeutet ,Modernisierung‘ die Monopolisierung der kartographischen Rechte in den Händen der Stadtplaner“, schreibt der Soziologe Zygmunt Baumann über die städtischen Planspiele, bei denen Macht und Monument sich über den Einzelbau hinaus auf die gesamte Stadt ausbreiten. Die Verbannung der Menschen, welche die „Standards der Normalität“ nicht erfüllen, durchzieht die mit Macht besetzte Baugeschichte der monumentalen Moderne. Ein Luftbild vom fabrikartig angelegten Areal des Lagers Sachsenhausen erinnert an die Rückseite der kilometerlang geplanten Ostsee-Freizeitanlage Prora auf Rügen. Der Abriß von „Elendsquartieren“ faszinierte Albert Speer wie Le Corbusier gleichermaßen, wobei die Definition des „Elends“ wie auch die politische Durchsetzungskraft sie unterschied.

„I Am A Monument“ prangt auf einem riesigen Schild, darunter steht eine schlichte Kiste. So skizzierten die ArchitektInnen Robert Ventur, Denise Scott Brown und Steven Izenour in ihrem legendären Seminarbuch „Lernen von Las Vegas“, „wie man Monumente bauen sollte“. Nicht mehr das skulptural ausgeformte Funktionsgebäude selbst, sondern das äußerlich angefügte Image des Baukomplexes wird zum Monument. Blendfassaden, Bauschilder, Reklameapplikationen und begleitender PR-Aufwand behaupten hierbei den Anspruch auf Größe und Bedeutung; an die Stelle der übergroß aufgeblasenen „Ente“ tritt der „dekorierte Schuppen“. Ein ironisch-theoriegeschichtlicher Wink, wie „Lernen von Las Vegas“ vorführt, fehlt der Ausstellung gänzlich. Sie bleibt darin seltsam steinern.

Bis 5.April. Der von Romana Schneider und Wilfried Wang herausgegebene Katalog ist beim Verlag Gerd Hatje erschienen.