■ Die Studenten wollen in die FDP – aber was wollen sie dort?
: Alles kann sich ändern

Eigentlich ist etwas furchtbar Normales passiert: In einer parlamentarischen Demokratie haben junge Staatsbürger den Entschluß gefaßt, in eine Partei einzutreten. Ernüchtert über fruchtlos verlaufene Versuche, ihre bildungspolitischen Anliegen demonstrierend und protestierend von außen an die politischen Institutionen heranzutragen, haben Tausende von Studenten in Berlin und anderswo sich entschieden, diesen Institutionen von innen her auf die Sprünge zu helfen, an der politischen Willensbildung der Republik aktiv und effektiv zu partizipieren.

Im Berliner Landesverband der (Bundes-)Regierungspartei FDP werden sie demnächst den mit Abstand größten Mitgliederblock stellen. Damit können sie – den nötigen langen Atem vorausgesetzt – neue Vorstände wählen, Programme umschreiben und als Delegierte auf Bundesparteitagen medienwirksam Reden halten. Auch in Bonn dürften sie dann bald mit am Vorstandstisch der Liberalen sitzen. Kurzum, relevante gesellschaftliche Interessen bahnen sich erfolgreich ihren Weg ins Zentrum des politischen Systems – was sollte daran ungewöhnlich sein?

Leider eben doch fast alles. Weil die Parteien überaltert und unattraktiv geworden sind, bleibt ihnen seit langem schon der Nachwuchs weg – und weil sie keinen Nachwuchs haben, sind sie aus der Sicht der Jungen allesamt nur noch langweilig und irrelevant. Vermeintlich irrelevant, denn entschieden wird in der Parteiendemokratie ja doch immer – ob die jeweils Betroffenen nun darauf Einfluß nehmen oder nicht. Ziehen sie die kollektive politische Selbstmarginalisierung vor, fallen ihre gesellschaftlichen Interessen eben tendenziell unter den Tisch. Das war und bleibt das Problem der protestierenden Studenten.

Die studentische Eintrittsbewegung in die FDP ist deshalb ein ermutigendes Lehrstück über die bundesdeutsche Demokratie kurz vor dem großen Umbruch. Über die Hochschulpolitik hinaus zeigt sie beispielhaft, daß die Verhältnisse nicht auf alle Zeit eingefroren bleiben müssen. Weder ist Helmut Kohl ewiger Kanzler der Republik noch Guido Westerwelle für immer die FDP.

Alles kann sich ändern, und vieles wird sich ändern – schon 1998. Wie es sich ändert, wird allerdings nicht zuletzt davon abhängen, ob die Jungen wie bisher aus der Nische heraus die sterile „Politiker-Politik“ bejammern oder ob sie damit beginnen, sich die Institutionen ihres Gemeinwesens anzueignen. Zeit dafür wäre es. Tobias Dürr

Der Autor arbeitet als Politologe an der Universität Göttingen