Eine perfekte Ehe mit tödlichem Ende?

■ Pastor Klaus Geyer, beschuldigt, seine Frau getötet zu haben, gibt gestern im Prozeß eine Erklärung ab. Er beschreibt seine Ehe als überaus harmonisch. Der Verdacht gegen ihn sei „irrsinnig“

Braunschweig (taz) – Klaus Geyer ist ein kluger Mann. Und so hat der evangelische Geistliche, der angeklagt ist, seine Frau erschlagen zu haben, den richtigen Zeitpunkt gewählt, um vor der Schwurgerichtskammer des Braunschweiger Landgerichts eine lange persönliche Erklärung abzugeben. An den vergangenen Prozeßtagen hatten sich die belastenden Aussagen gegen ihn gehäuft. Mit seiner gestrigen, mehr als anderthalbstündigen Rede versuchte er offenbar gegenzusteuern. Erneut stellte er den Verdacht gegen ihn als völlig „irrsinnig“ dar.

Klaus Geyer redete über den Umgang der Medien mit seinem Fall, über den Charakter seiner Ehe, über die Tage unmittelbar vor und nach dem Verbrechen. Er sprach klar, in besonnenem Ton und mit dem notwendigen Maß an Betroffenheit, um glaubwürdig zu wirken. Er sei sich sehr wohl bewußt, sagte er, daß ihm sein distanziertes Verhalten während der Verhandlung leicht als „Gefühlskälte“ ausgelegt werden könne. „Viele Leute denken, ich bin die Ruhe selber, und innerlich bin ich ganz voll Angst und unruhig.“

Da die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, daß eine schwere Ehekrise der Auslöser für das Verbrechen an Veronika Geyer- Iwand war, versuchte der 57jährige Angeklagte, vor allem diesen Verdacht zu entkräften. Er zeichnete eine Ehe, die eine „Mischung aus Liebe, gegenseitiger Hochachtung, Stolz und einem gemeinsamen Lebensprojekt“ gewesen sei. „Dieses Lebensprojekt hätte ich nie – auch nicht im Affekt – kaputtgemacht.“ Bis zum Schluß habe er mit seiner Frau „geschlafen“, seien sie „zärtlich und liebevoll“ miteinander umgegangen.

Glaubt man dem Pfarrer und an das Modell einer liberalen Ehe, so wurde die Harmonie durch die inzwischen aktenkundigen, außerehelichen Liebschaften beider Partner nur unwesentlich gestört. Das Publikum glaubt das Klaus Geyer nicht. Es murrte bei so viel Weichzeichnung, und Oberstaatsanwalt Hennecke lächelte grimmig. Vor allem, als der Pastor zugab, die Nacht nach dem Verschwinden seiner Frau mit einer Freundin im eigenen Ehebett verbracht zu haben. Der Pfarrer: „Ich habe Nähe gesucht und noch mal Nähe!“ Eine Prozeßbeobachterin: „Der lügt doch wie gedruckt.“

Nicht unbedingt. Am Vormittag dieses neunten Verhandlungstages bestätigten zwei Zeugen im Kern, daß Veronika Geyer-Iwand die Seitensprünge ihres Mannes nicht allzu tragisch genommen habe. Sie habe zwar zeitweise darunter gelitten, es aber nicht als Bedrohung für ihre Ehe gesehen, berichteten ihre Kollegen. Doch auch der psychologische Gutachter, der den Prozeß begleitet, hat da wohl seine Zweifel, daß das die ganze Wahrheit war. „Kann es sein“, fragte er Geyer, „daß Sie und Ihre Frau dieses Arrangement unterschiedlich gesehen und gewichtet haben?“

Vehement beschwerte sich Klaus Geyer gestern über die Berichterstattung der Medien. „Es scheint keine Lüge zu dreckig zu sein, daß sie nicht aufgetischt wird.“ Gegen ihn laufe „eine Kampagne der Verunsicherung“, eine „Mischung aus Wahrem und Falschem“, die durch Indiskretionen von Polizei und Staatsanwaltschaft gefördert werde.

Ganz unrecht hat der Angeklagte mit seiner Klage über die Vorverurteilung nicht. Bereits nach der ersten Prozeßwoche wurde er in der Boulevardpresse als „Todes-Pastor“ gehandelt. Er selbst gab noch einmal zu Protokoll, daß er keine Hinweise auf einen anderen möglichen Täter habe. „Ich habe im Grunde keine Spur. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Bekannter meine Frau umgebracht hat.“

Am Fall Geyer zeigt sich erneut, was für ein makabres Puzzlespiel ein Indizienprozeß ist. Doch bisher passen die meisten Puzzleteile in das Bild, das sich die Staatsanwaltschaft von dem Verbrechen macht – auch nach der Erklärung von Klaus Geyer und selbst wenn seine Aussage über die nahezu perfekte Ehe der Wahrheit entspricht. Er wäre schließlich nicht der erste Ehemann, der nur ein einziges Mal in seinem Leben richtig ausrastet — mit tödlichen Konsequenzen für die Ehefrau. Bascha Mika