Warum die Türkei nach 17 Jahren einen Ausgebürgerten wiederhaben will: Der Bündnisgrüne und Migrationspolitiker Ozan Ceyhun soll im Herbst ins Europaparlament einziehen, nun wird wegen Totschlags gegen ihn ermittelt. Publizistisch begleitet

Warum die Türkei nach 17 Jahren einen Ausgebürgerten wiederhaben will: Der Bündnisgrüne und Migrationspolitiker Ozan Ceyhun soll im Herbst ins Europaparlament einziehen, nun

wird wegen Totschlags gegen ihn ermittelt. Publizistisch begleitet dies die größte türkische Zeitung in Deutschland, „Hürriyet“, mit merkwürdigen Methoden und nachsetzendem Eifer.

Der lange Arm der Heimat

Vor sechs Jahren schon hatte die Türkei ihn ausgebürgert, doch so recht will der türkische Staat seinen ehemaligen Bürger Ozan Ceyhun noch nicht loslassen. „Deutsch“ steht unter der Rubrik Staatsangehörigkeit in Ceyhuns Paß. „Türkisch“ steht in einem internationalen Haftbefehl auf seinen Namen, den Polizisten im Computer fanden, nachdem sie das Auto des Grünen-Politikers am Nachmittag des 12. Februars angehalten hatten. Wegen Totschlags und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Dev Sol) nach dem Militärputsch 1980 möchte man ihm nun in der Türkei den Prozeß machen. Deswegen war dem Haftbefehl auch ein Auslieferungsersuchen beigefügt. Sechs Stunden intensiver Überprüfung von Ceyhuns fälschungssicherem Personalausweis auf der Polizeiwache ergaben: Ozan Ceyhun ist seit 1992 Deutscher und kann als solcher nicht an die Türkei ausgeliefert werden. Aber, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft beim Frankfurter Oberlandesgericht, Hildegard Becker-Toussaint, bei solchen Rechtshilfeersuchen „vertrauen die Staaten aufeinander, daß die Angaben stimmen. Die Frage ist halt: Warum haben die ihn als Türken ausgegeben?“

Ceyhun, derzeit Mitarbeiter des hessischen Umweltministeriums, kam wieder frei. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen Totschlags gegen ihn. Das ist normales Procedere, wenn einem deutschen Staatsbürger strafrechtliche Vergehen im Ausland zur Last gelegt werden. Nicht normal ist das plötzliche Interesse der türkischen Behörden an Ceyhun, der unmittelbar nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei nach Deutschland geflohen war. Von den Vorwürfen weiß er seit langem. Er hat sie immer wieder bestritten. Seine wiederholten Anfragen bei türkischen Behörden, ob und wie gegen ihn ermittelt werde, blieben ohne Ergebnis. Zwei angebliche Komplizen sind nach Angaben seines Anwalts Wolfgang Euler in der Türkei inzwischen freigesprochen worden. Ihre Geständnisse, in denen sie auch Ozan Ceyhun belastet hatten, waren durch Folter erpreßt worden.

Ozan Ceyhun hat sich in Deutschland nie versteckt – im Gegenteil: In der türkischen Botschaft ist er mehrmals gewesen; als Mitglied der Bündnisgrünen und Mitarbeiter des hessischen Umweltministeriums war und ist er jederzeit auffindbar. Zudem macht er in der Presse häufig auf sich aufmerksam – ob durch Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei oder am Umgang mit Immigranten und Flüchtlingen in Deutschland. All das ist sowohl der türkischen Botschaft wie auch dem türkischen Innenministerium bekannt. Bekannt ist dort auch, daß Ceyhun im Herbst als Nachrücker für die bündnisgrüne Abgeordnete im Europaparlament, Claudia Roth, vorgesehen ist, einer Institution, die sich immer wieder mit politischer Verfolgung in der Türkei befaßt hat.

Daß zwischen Ceyhuns Einzug ins Europaparlament und der internationalen Fandung nach ihm irgendein Zusammenhang besteht, bestreitet der türkische Botschafter in Bonn, Volkan Vural: Da habe halt jemand bei den türkischen Behörden alte Haftbefehle aufgefrischt, erklärte Vural der auch in Deutschland erscheinenden Tageszeitung Milliyet. „Ein Komplott ist nicht der Fall.“

Vehement wettert unterdessen Hürriyet (siehe nebenstehenden Bericht), gegen Zeitungen wie Frankfurter Rundschau und taz, die über Ceyhuns Fall und den Umstand berichtet hatten, daß Hürriyet-Reporter am Tag der Festnahme bei seiner Frau Farbe und Kennzeichen seines Autos abgefragt hatten. Ein Hürriyet-Mitarbeiter habe zufällig beobachtet, wie Polizisten Ceyhun auf der Autobahn gestoppt hätten, behauptete die Redaktion später. Seitdem findet sich Ceyhun fast täglich in dem Blatt wieder, das unter anderem fälschlich behauptete, er sei in der Türkei bereits verurteilt.

Wie lange sich das Ermittlungsverfahren hinziehen wird, hängt nach Auskunft der Darmstädter Staatsanwaltschaft von den türkischen Behörden ab, die nun sämtliche Unterlagen weiterreichen müssen. Ceyhuns Anwalt Euler rät seinem Mandanten für die Verfahrensdauer zur Vorsicht. Falls die türkischen Behörden den Haftbefehl nicht zurückziehen, könnte Ceyhun zum Beispiel beim Grenzübertritt nach Frankreich von der französischen Polizei festgenommen werden. Dann käme es womöglich zu einem „Konkurrenzverfahren“, bei dem sowohl Deutschland wie die Türkei seine Auslieferung beantragen und die französischen Behörden dann entscheiden müßten. Es sei denn, Ceyhun wird Europaparlamentarier. Dessen Immunität würde Ozan Ceyhun vor seiner alten Heimat erst einmal schützen. Andrea Böhm