Knallrote Erdbeeren

■ Radikal, geheimnisvoll und makellos: „African Violet“ von Koto Bolofo

Beim ersten Mal ist „African Violet“ geheimnisvoll, beim zweiten Mal sieht man, wie gut der Film gemacht ist. Ein Bilderreigen aus Südafrika in erstaunlichsten Farben: Ein Erdbeerkuchen auf einem weißen Tisch an einem Sommertag grenzt, unter der Kamera von Koto Bolofo, an eine Sensation. Dem Bilderreigen unterlegt ist ein vorzüglicher Soundtrack mit Musik aus der Kirche, dem schwarzen Dorf und Afro-Rock'n'Roll. Es plätschert, reißt ab, fließt und überblendet sich; Stimmen tauchen auf und erzählen – zum Teil verdächtig bekannte – Geschichten. Zum Beispiel die von Winston, der in einem Land ohne Gedächtnis und ohne Gesetze lebt und Verbündete sucht im Büro und für sein Bett; die Observation ist überall. Ja, das ist Orwells „1984“. Aber Winston ist ein korpulenter Schwarzer im Anzug, der sein Sanyo-Radio in dem rissigen braunen Lederetui anstellt, und es meldet sich der Sender des „African National Congress“.

Es brodelt in dem Film von Bolofo, der nicht von der Erhebung handelt, sondern von dem, was Freud Sublimation genannt hat. Die in eindrücklichen Situationen gefrorenen Hauptfiguren sind vier Frauen: eine am großen Kaffeetisch, wartend; eine andere, jünger, hinter dem Lenkrad eines Autos, gefangen im inneren Monolog. Es sind die gelähmten Ehefrauen von Kolonisatoren, mit klassischen Gesichtern und mangelnden Aufgaben. Sie spiegeln jene Angst, von der es heißt, sie sei berechtigt.

Stilistisch ist die Filmerzählung zwanziger Jahre: mit geneigter Kamera, dicht an Körpern und Objekten. Die Gegenstände sind aber sechziger Jahre, Rot in Rot, Grün in Blau; eine hellgraue Filzdecke mit weißblauen Streifen. So erzählt Koto Bolofo, Jahrgang 1959, von seiner Kindheit in Südafrika und von der Zeit, die stehengeblieben ist in der Welt der Weißen, wie er bei seiner Rückkehr erkannte. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er in London verbracht. Den Film – in eigener Regie selbst produziert, geschrieben und phänomenal ausgestattet – hat Bolofo mit einer Bolex-Kamera gedreht, deren Motor man aufziehen muß wie ein Uhrwerk. Im Sekundenrhythmus erwischt er die entscheidenden Fragmente der Erinnerung, wie mir schien. Der Film spielt in meinem Kopf, als ich sechs Jahre alt war und im grünen Gras lag, ganz woanders. Ulf Erdmann Ziegler