Tote tragen keine braunen Nadelstreifen

■ In seinem Kuriositätenkabinett „Von Augsburg nach Bilbao“ehrt Ulrich Tukur den unbekannten Brecht

Einen toten Dichter kann nichts umbringen, denken die Theaterleute aller Länder und spielen die Stücke des 100jährigen, daß vielen schon schlecht wird vor lauter Brecht.

Bei Ulrich Tukurs neuem Brecht-Lieder- und Geschichtsabend ahnten manche Böses, doch zu Unrecht: In der Revue Von Augsburg nach Bilbao, die am Sonntag in den Kammerspielen Premiere hatte, singt Ulrich Tukur 16 Lieder, aber keines davon gehört zu Brechts Top Ten. Nur die Melodie der „Moritat von Mecki Messer („Und der Haifisch...“) spielen Tukur und die fünfköpfige Band, doch „der Witz daran ist, daß niemand singt“– was Tukur eigentlich nicht zu erklären bräuchte. Nein, dies ist zum Glück kein „Best-Of“-Programm. Hier dreht sich alles um den jungen, eher unbekannten Brecht, und der hat weder Gesellschafts- noch Theaterrevolutionen im Kopf, sondern das was Männer um die Zwanzig naturgemäß beschäftigt: Frauen, Liebe, Sex und Rausch. Ein Kuriositätenkabinett aus Tagebuchtexten, Briefen und Gedichten hat Ulrich Waller für Tukur zusammengestellt, vieles davon ist lustig und dreist, manches ist auch zart, verträumt.

Tukur – im unglaublich braunen Nadelstreifenanzug mit Ledermantel und natürlich Zigarre – zitiert und rezitiert Brecht mal in lauten, hämischen, mal in zarten Tönen, er identifiziert sich mit der Figur, stellt sich dann wieder in angemessenem Maße neben sie, immerhin ist er etwa doppelt so alt wie der Star des Abends, eben jener frühe Bertolt, wirkt zufriedener und weitaus wohlgenährter.

Musikalisch leistet Efim Jourist – Komponist , Band-Leader und Ackordeon-Spieler – hervorragende Arbeit: Seine präzise vorgetragenen Arrangements lassen hier die Beine zucken und dort die Gedanken schweifen. Sie sind zeitlos, für alle Zuschauer nett anzuhören, und Kurt Weill kann seine Grüße für sich behalten.

Was dieser Abend mit Bilbao zu tun hat, bleibt ungeklärt, aber das Publikum will darüber nicht grübeln, sondern sich lieber noch einmal freuen, wenn die Silhouette von Brechts Geburtsort Augsburg in einem Bühnenguckloch erscheint und Tukur dazu anmerkt: „Hundert Jahre Brecht – fünfzig Jahre Augsburger Puppenkiste!“Ja, der Ulli hat den Schalk im Nacken, wofür ihn vor allem die Frauen lieben. So ist dies mit gut eineinhalb Stunden vielleicht ein etwas zu langes, aber dennoch sehr hübsches und sicher sehr erfolgreiches Stück.

Nele-Marie Brüdgam