Sie kam, sah und beschrieb

Die Kriegsberichterstatterin Martha Gellhorn erfand in den dreißiger Jahren den Erlebnisjournalismus und erkannte: Im Krieg sind Zivilisten gefährdeter als Soldaten. Fast 90jährig starb Martha Gellhorn in London  ■ Von Andrea Goldberg

„Frauen stehen Schlange wie überall, stille Frauen, meist schwarz gekleidet, mit Marktkörben am Arm, und warten darauf, Lebensmittel kaufen zu können. Eine Granate schlägt nicht weit von ihnen ein. Sie drehen die Köpfe und schauen und rücken ein bißchen dichter an das Haus heran, aber keine verläßt ihren Platz in der Schlange.“

Man könnte denken, einen der typischen Kriegsberichte der neunziger Jahre (vielleicht aus Sarajevo?) zu lesen. Aber da sind die Marktkörbe anstelle der Plastiktüten – wir sind in Madrid im Jahr 1937. Die Autorin ist Martha Gellhorn, und sie schreibt Geschichte. Nicht nur, weil guter Journalismus ohnehin „die erste Rohfassung der Geschichtsschreibung“ ist, sondern weil Martha Gellhorn mit ihren Erlebnisberichten die Form des Journalismus einführte, die uns jetzt so vertraut ist. Presseerklärungen von Politikern und Generalstäblern waren ihr suspekt, also konzentrierte sie sich ausschließlich auf das, was sie selbst sah und hörte.

Wie alle großen Erneuerungen ist auch ihr Stil aus der Not geboren. „Ich konnte nicht über Krieg als solchen schreiben. Ich kannte die Waffen nicht. Ich fing an, über die Menschen im Krieg zu schreiben... Ich zeigte, was es bedeutete, in einer Kriegssituation gefangen zu sein“, erklärt sie in einem Interview einige Monate vor ihrem Tod am 16. Februar 1998.

Weil bei ihr die Opfer, Zivilisten wie Soldaten, und nicht die Täter im Mittelpunkt stehen, ist sie auch die erste, die – anfänglich eher instinktiv – eine der großen Trendwenden in der Kriegsgeschichte registriert: „Ich glaube, dieses Jahrhundert wird als ein richtiger Schock in die Geschichte eingehen. Am gefährlichsten ist es, Zivilist zu sein. Man ist viel sicherer, wenn man eine Uniform trägt.“

Damit hat sie das ausgedrückt, was sich in kalten Zahlen so liest: Bei den drei großen Kriegen, an denen die USA in diesem Jahrhundert teilgenommen haben, war das Verhältnis zwischen getöteten Militärs und Zivilisten wie folgt: Erster Weltkrieg 90:10, Zweiter Weltkrieg 50:50, Vietnamkrieg 10:90.

Angefangen hatte Martha Gellhorn, die in einem wohlbehüteten Elternhaus 1908 in St. Louis, Missouri, geboren wurde, ihre journalistische Karriere bei einem provinziellen Skandalblatt, wo sie als einzige Frau in der Redaktion für die Damenclubs und das Leichenschauhaus verantwortlich war. Nach einem Intermezzo in Paris kehrte sie 1934 nach Amerika zurück und arbeitete für Harry Hopkins, Präsident Roosevelts New- Deal-Kommissar.

In dieser Funktion reiste sie durch die von der Depression betroffenen Gebiete und schrieb Sozialreportagen. Ihr Sammelband „The Trouble I've Seen“ gab ihr nationale Bekanntheit und Anerkennung – sogar in dem Maße, daß sie einige Zeit als Gast ihrer neuen Freundin Eleanor Roosevelt im Weißen Haus wohnte.

Bis 1936 hielt es Martha Gellhorn im puritanischen, provinziellen Amerika aus, dann übersiedelte sie in das swingende, kosmopolitische Europa. Als idealistische Pazifistin schloß sie sich anfänglich in Paris einer Gruppe an, die sich der deutsch-französischen Aussöhnung verschrieben hatte. Doch nach den ersten Begegnungen mit Vertretern der neuen deutschen Ordnung wurde sie sehr schnell zu einer überzeugten Antifaschistin.

Folgerichtig wurde Spanien der erste Kriegsschauplatz, über den sie berichtete. Es folgten Finnland, China, England, Frankreich, Holland, Italien, Deutschland, Java, Vietnam, Israel, El Salvador, Nicaragua und Panama.

Zwischendurch publizierte Martha Gellhorn dreizehn Belletristikbände, Romane und Erzählungen. Nach Amerika kehrte sie nie wieder endgültig zurück. Zwischen ihren Einsätzen schlug sie ihre Zelte für längere oder kürzere Zeit in Kuba, Frankreich, Kenia, Mexiko und England auf.

Zu Deutschland hatte Martha Gellhorn ein ganz besonderes Verhältnis. Nachdem sie Deutsche bereits in Spanien von ihrer besten und schlechtesten Seite kennengelernt hatte, wollte sie unbedingt die Niederlage der Nazis miterleben. Den kriegsmüden Ehemann – Ernest Hemingway, zweiter von drei, keinen konnte sie lange ertragen – ließ sie in seinem Pariser Hotelzimmer zurück und berichtete über das, was bis zu ihrem Lebensende ihre stärksten Eindrücke geblieben sind: die Befreiung von Dachau und die Nürnberger Prozesse (sechzehn Jahre später gefolgt vom Jerusalemer Eichmann- Prozeß).

„Ich versuchte, Dachau zu vergessen, aber ich konnte es nicht. Es war viel grausamer als Krieg. Im Vergleich dazu war Krieg nett und sauber. Dachau war mein persönlicher Krieg. Ich hatte in Spanien davon gehört. Ich wollte die Befreiung von Dachau miterleben... Die Nürnberger Prozesse und der Eichmann-Prozeß waren eine fast unerträgliche Erfahrung. Menschen fielen in Ohnmacht, wenn sie berichteten, was sie durchgemacht hatten.“

Aus den zentralamerikanischen Kriegen der siebziger und achtziger Jahre stammten ihre letzten Reportagen. Martha Gellhorn bedauerte es, daß sie als Achtzigjährige nicht mehr fit genug war, die Strapazen der Arbeit im bosnischen Bürgerkrieg – in vielerlei Hinsicht ihrem ersten Einsatz ähnlich – zu ertragen.

Zum Nachlesen:

Martha Gellhorn: „Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937– 1987“. Deutsch von Möhring. Knaus Verlag, München, 368Seiten, 39,80 DM