In Berlin jitt et nix zu lache

Die Hauptstadt, närrische Diaspora, soll flottgemacht werden für den Karneval. Doch die Bonner Entwicklungshelfer stoßen sich die Köpfe an den preußischen Bürokraten  ■ Von Thorsten Denkler

An Karneval geht in Bonn nichts mehr. In der „fünften Jahreszeit“ verabschiedet sich die Stadt von der politischen Landkarte. Keinen einzigen Termin kündigte etwa die dpa in ihrer Tagesvorschau für Rosenmontag an. Offiziell gibt es die Feiertage Weiberfastnacht oder Rosenmontag nicht. Karneval ist im Rheinland Gewohnheitsrecht. Dagegen kommt kein Arbeitgeber an.

In Berlin ist das anders. Karneval findet nur in bescheidenem Maße statt. Das müsse anders werden, meint Georg Appel. Als Personalrat in der Bundestagsverwaltung organisiert er den Bonner Prinzenempfang für Abgeordnete und Bundesbedienstete in der Lobby des Plenarsaals. Eine alte Tradition. Beim närrischen Volk unsterblich gemacht hat sich Annemarie Renger, erste Frau auf dem Präsidentensessel. Die gebürtige Leipzigerin holte den Karneval aus der Hinterstube des Bundestags in die prominente Lobby.

Im Grunde sei der Berliner ja prädestiniert für den Karneval, sinniert Appel. „Der Rheinländer an sich hat zum Feiern ja nur seine fünfte Jahreszeit, das war's. Der Berliner dagegen feiert das ganze Jahr durch.“ Appel hat ein großes Ziel: Er will den Karneval an die Spree exportieren. Ganz nach dem Willen des Alten Fritz. „Preußen, seid doch wieder närrisch“, soll der seinen Untertanen zugerufen haben. Gelingt es Appel, die Berliner aus ihrem Dornröschenschlaf jeckzuküssen, ist ihm zumindest ein Stehplatz im Theater der unsterblichen Karnevalisten sicher.

Um echte Preußen zu überzeugen, braucht es einen guten Plan: Zusammen mit Annabelle Berger vom Veranstaltungsausschuß Berliner Karneval bereitet sich Georg Appel bereits jetzt auf das Jahr 2000 vor. Dann könnten, so der Bundestag fertiggestellt ist, die ersten Berliner Tollitäten im umgebauten Reichstag Küßchen und Orden verteilen. Der Unterstützung von 22 Berliner Karnevalsvereinen können sich die beiden sicher sein.

Trumpf im Spiel soll Jupp Gassen sein. Er moderiert den Prinzenempfang, seit es ihn gibt. Nur einmal fiel der Empfang aus. Den Jecken war während des Golfkriegs das Lachen vergangen. Ohne Narrenkappe ist sich der ehemalige Angestellte der Bundestagsverwaltung kaum vorzustellen. „Jupp“ hat vor gut 30 Jahren sogar seinen eigenen Verein gegründet, die „Karnevalsgesellschaft Kasseler Jonge“. Selbst als er am 17. Januar 1953 heiratete, ging er von der Kirche direkt zur Karnevalssitzung – er war ihr Sitzungspräsident. Ein wahrer Karnevalsexperte also, der im Jahr 2000 für den Empfang extra nach Berlin geflogen werden soll. „Wenn es meine Gesundheit dann noch mitmacht“, sagt er.

Die Berliner Jecken greifen schon heute nach den Sternen. Sie wollen mehr, sie wollen die Macht über die Straßen. Ein Zug wie bei der Love Parade soll es werden. Millionen an den Straßen, die Prinz und Prinzessin zujubeln, damit Kamelle auf sie niederregnen. Diesen Traum hatten die Berliner 1996 schon einmal. Ein Stich der Stadtverwaltung ließ ihn platzen: 65.000 Mark Reinigungskosten wollten sie dem Veranstaltungsausschuß in Rechnung stellen. Im Rheinland wäre das ein Skandal.

Nicht zu bezahlen, hieß es, und die Pläne verschwanden kurzerhand wieder in den Schubladen. Während nämlich in den Karnevalshochburgen am Rhein die Sponsoren den Veranstaltern die Türen einrennen, damit das Prinzenpaar in „ihrem“ Auto kutschiert wird, „ihr“ Bier getrunken wird und „ihr“ Logo vom Motivwagen prangt, fristet der Berliner Karneval mangels Interesse ein finanzielles Schattendasein. Dabei wird seine Werbewirksamkeit unterschätzt, denn: 2.000 bis 3.000 zahlende Gäste bei Karnevalssitzungen sind keine Seltenheit. „Reich geworden ist mit dem Karneval bei uns trotzdem noch keiner“, sagt Annabelle Berger. Sponsoren sind dringend erwünscht. „Auch damit wir unsere Jugendarbeit bezahlen können“, sagt sie.

Die Berliner Stadtverwaltung läßt auch heute noch nicht mit sich spaßen. Mit karnevalistischer Stimmungsmusik wollten Harald Grunert und Friedhelm Drautzburg, Wirte der Berliner Gaststätte „Ständige Vertretung“, ihre Kneipe beschallen. Damit die Gäste schunkeln und mitsingen können. Dafür brauchten die beiden allerdings eine Sondergenehmigung. Die wurde nicht erteilt, weil die Behörden Beschwerden von Anwohnern fürchteten. In Bonn dagegen läge den Anwohnern Widerstand fern – niemand im Rheinland will sich des Straftatbestandes der Humorlosigkeit verdächtig machen. Und was die Frage der behördlichen Genehmigung für Karnevalsmusik bis spät in die Nacht angeht, da gibt es eine typisch „rheinische Lösung“: Die Ordnungshüter drücken einfach sämtliche Augen zu.

Im Moment machen sich die Karnevalsmissionare von Rhein und Spree jedoch Gedanken über ungleich wichtigere Dinge. Noch ist nämlich nicht einmal geklärt, mit welchem Schlachtruf das Prinzenpaar im Berliner Bundestag empfangen werden soll. Hier gilt es so manche Empfindlichkeiten zu überwinden. „Alaaf“ ist im Rheinland üblich. „Helau“ im Rest der jecken Welt wie in Mainz und Düsseldorf. Als Bonner oder Kölner aber „Helau“ zu rufen ist schlimmer als Landesverrat.

Die Berliner haben einen ganz eigenen Ruf. Ein freundliches „Hajo“ werfen sie sich in närrischen Zeiten zu, was soviel heißen soll wie „Heiterkeit und Jokus“. Georg Appel räumt zwar ein, daß man sich wohl den „dortigen Gebräuchen anpassen werde“, und auch Jupp Gassen hat schon öfter mal „Hajo“ gerufen. Aber mal im Ernst: So ein schlappes „Hajo“ ist doch nichts gegen ein dreimal kräftiges „Bonn Alaaf“.