Krankenbetten als Immobilien

Die städtische Krankenhauslandschaft steht vor einem Umbruch: Ein Gutachten soll Klärung bringen, ob Kliniken und Leistungen reduziert oder privatisiert werden. Kassen erhoffen Einsparungen, ÖTV ärgert sich  ■ Von Julia Naumann

Im Juni soll es endlich fertig sein – das von der Gesundheitsverwaltung befürchtete und von den Krankenkassen ersehnte Gutachten, wonach die Krankenhauslandschaft neu gestaltet werden soll. Die Expertise des Kieler Instituts für Gesundheits-System-Forschung (IGSF), von den Krankenkassen in Auftrag gegeben, soll zeigen, wo zukünftig Kosten im stationären Bereich gesenkt werden können. Die finanzgeplagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) drängt nämlich auf schnelle Veränderungen und Anpassungen von medizinischen Leistungen und Verwaltungsstrukturen, da die Kosten je Behandlungsfall sehr viel höher sind als in anderen vergleichbaren Ballungszentren. Das liegt unter anderem auch an dem Doppelangebot von Ost-und Westberliner Krankenhäusern. Nach Angaben des AOK-Vorstandes Rolf Dieter Müller handelt es sich um Mehrkosten von über einer Milliarde Mark jährlich.

Konsequenz des Gutachtens könnten Schließungen von Abteilungen, Standorten oder ganzen Kliniken sein. Doch erst nach der Veröffentlichung des Papiers im Sommer soll über Strukturveränderungen und Trägerwechsel diskutiert werden. Darin sind sich Gesundheits- und Finanzverwaltung einig. Und: „Vor Juni wird es keine Zusagen über Neubauten und Investitionen geben“, sagt Barbro Dreher, Referentin von Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD). Einzige Ausnahme: das Krankenhaus Prenzlauer Berg, das vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) übernommen wird.

Dennoch gibt es bereits jetzt informelle Gespräche von privaten Klinikgesellschaften, die an Standorten interessiert sind. So zum Beispiel die bayerische Rhön-Klinikum Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in Bad Neustadt an der Saale hat und branchenintern als „Mercedes der Privatkliniken“ gilt. Nach Angaben ihres Vorstandsvorsitzenden Eugen Münch habe es in den vergangenen Monaten „eine ganze Reihe Gespräche mit mindestens fünf kommunalen und kirchlichen Krankenhäusern gegeben.“ Konkreter wollte er jedoch nicht werden. „Die Gespräche sind in sehr unterschiedlichen Phasen, es ist noch unklar, wie weit das Interesse von deren und unserer Seite geht“, so Münchs Auskunft.

Das an der Börse äußerst erfolgreiche Unternehmen will „flexible patientenorientierte Krankenhäuser“ schaffen. Dabei setzt die Rhön AG nicht nur auf modernste Technik, sondern anscheinend auch auf ein Minimum an Pflegepersonal. Eine Klinik mit aktuell rund 3.300 MitarbeiterInnen, die bislang rund 33.000 stationäre Fälle abgewickelt hat, würde nach der Konzeption der Rhön AG nur noch etwa. 2.000 bis 2.500 MitarbeiterInnen benötigen und könnte gleichzeitig die Zahl der stationären Fälle auf 36.000 bis 38.000 erhöhen, rechnet Münch vor. Doch damit haben sie auch bei den PatientInnen Erfolg: Prototyp der Rhön-Krankenhäuser ist eine Klinik in Meiningen in Thüringen. Diese zieht inzwischen so viele PatientInnen an, daß in benachbarten hessischen und fränkischen Kliniken öfters mal die Betten leer bleiben.

Ebenfalls gibt es Interesse von einer Privatfirma an der Lungenklinik Heckeshorn, die zum Krankenhaus Zehlendorf gehört und nach dem Willen der Gesundheitsverwaltung ausgelagert werden soll. Die Lungenklinik, die einen guten Ruf weit über Berlin hinaus hat, kam schon im vergangenen Jahr ins Gespräch, weil die saudi- arabische Königsfamilie daraus eine Privatklinik machen wollte. Jetzt ist die Dräger Medizintechnik GmbH aus Lübeck an dem Haus interessiert. So hat es bereits ein ersten Sondierungsgespräch mit Gesundheitsstaatsekretär Detlef Orwat (CDU) gegeben. Nach Angaben von Gabi Lukas, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung, gebe es von beiden Seiten „ernsthafte Überlegungen“.

Doch bereits im vergangenen Herbst erregte ein Vorstoß des DPWV Aufsehen, der sich auf alle städtischen Krankenhäuser bezog: Der Wohlfahrtsverband wollte die elf kommunalen Krankenhäuser mit Hilfe der Berliner Landesbank für 1,5 Milliarden Mark kaufen. Dabei sollten Grundstücke, die für Klinikzwecke nicht unbedingt gebraucht werden – beispielsweise Parks oder leerstehende Gebäude –, langfristig verkauft oder bebaut werden. Doch dieses Angebot ist für Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) mittlerweile passé: „Die Krankenhäuser sind nicht in erster Linie ein Immobiliengeschäft“, sagt Hübners Sprecherin Gabi Lukas. Und wenn die Gesundheitsverwaltung tatsächlich Areale verkaufen wollte, „dann machen wir es selbst.“ Der DPWV würde dazu nicht gebraucht.

In der Diskussion ist jetzt weiterhin einerseits das Modell der SPD und ÖTV, Krankenhäuser in Eigenbetriebe umwandeln und in die Verantwortung der Bezirke zu geben, und andererseits die Forderung des Gesundheitsstaatsekretärs Detlef Orwat (CDU), die Kliniken in gemeinnützige GmbHs unter dem Dach einer Holding umzuwandeln. Über eine mögliche Rechtsformänderung muß das Abgeordnetenhaus entscheiden.

Doch erst einmal soll das Gutachten für mehr Klarheit sorgen. Daran hat die ÖTV jedoch Zweifel: Nach den Erfahrungen in Thüringen, wo das Kieler Institut ebenfalls ein Gutachten erstellt hatte, habe sich gezeigt, daß die Gutachter nur „oberflächliches Zahlenmaterial“ und nicht die gesamte Gesundheitsversorgung im Blick hätten, so ÖTV-Sprecher Ernst- Otto Kock. Auch der frühere gesundheitspolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus und jetzige Geschäftsführer des Krankenhaus Lichtenberg, Rheinhard Roß, ist skeptisch: Weil die Gesundheitsverwaltung in den vergangenen Jahren nicht in der Lage gewesen ist, eine vernünftige Krankenhausplanung zu machen, sei das Gutachten ein „Notnagel“, was nur zu „Hauruckverfahren“ führe und wieder nicht zu einer ordentlichen Planung.