■ Die Qual der Wahlpflicht
: Die Gretchenfrage: Religion oder Ethik?

In Berliner Schulen gibt es entweder evangelischen oder katholischen Religionsunterricht oder den Lebenskundeuntericht der Humanistischen Union (HU). Jede Weltanschauungsgemeinschaft muß die Erlaubnis für solchen Unterricht bekommen. Bisher bringen allerdings kleine Gruppen kaum die organisatorische Kraft dafür auf.

Wer sich zu keinem der Angebote anmeldet, hat frei. Eigentlich jedoch bestimmt Artikel 7 des Grundgesetzes Religion zum „ordentlichen Lehrfach“. Die Ausnahmen ermöglicht der Artikel 141, die „Bremer Klausel“. Demnach bleiben in den Ländern, wo vor dem 1.1.1949 andere Regelungen bestanden (wie in Berlin), diese erhalten. Ob die Bremer Klausel auch für die neuen Länder gilt, wird derzeit am Beispiel von LER in Brandenburg vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt.

Nun denken Schulverwaltung und SPD über ein Leitfach für ethische Fragen nach, das als Sozialkunde oder als neues Pflichtfach wie LER eingeführt werden könnte. Der Theologe und SPD- Politiker Richard Schröder hat ein Fach Religion/Philosophie/ Ethik (RPE) angeregt, in dem teilweise im Klassenverband unterrichtet wird und teilweise nach Konfessionen verschiedene „Fenster“ eingerichtet werden. Der Erziehungswissenschaftler Hartmut von Hentig wiederum schlägt die Einrichtung eines Pflichtfachs Philosphie vor. Bei Bedarf soll es außerdem konfessionellen Unterricht geben.

Von den knapp 400.000 Berliner Schulkindern nehmen laut Schulverwaltung nur etwa 150.000 das Angebot zur „Werteerziehung“ wahr: knapp 100.000 im evangelischen und 23.000 im katholischen Unterricht, 20.000 beim Lebenskunde- Unterricht der Humanistischen Union und 4.000 im Schulversuch Ethik/Philosophie. 90 Prozent der Unterrichtskosten, den die Glaubensgemeinschaften in eigener Regie durchführen, trägt das Land, jährlich etwa 85 Millionen Mark. Die Gemeinschaften tragen die Differenz selbst und werden „für Erfolg bestraft“, wie Werner Schultz von der Humanistischen Union sagt: Von allen Seiten wird eine Ausweitung des Angebots gefordert, doch mehr Geld gibt es dafür nicht. Nach Angaben der Humanistischen Union sind 55 Prozent der BerlinerInnen konfessionslos.

Schwierig ist die Lage beim islamischen Unterricht, der bisher außerhalb der Schulen stattfindet. Da es „den Islam“ und eine kirchenähnliche Struktur nicht gibt, fehlt dem Senat ein Ansprechpartner. Die muslimische Gemeinde selbst ist zerstritten über die Frage des Religionsunterrichts. Der „Türkische Bund“ hält einen bekennenden Religionsunterricht „wegen fehlender neutraler Träger und der Vielfalt im Islam nicht für durchführbar“, die Islamische Föderation oder die Türkische Gemeinde in Berlin sollten deshalb nicht in Frage kommen. Die Islamische Föderation scheiterte erst im Dezember 1997 vor dem Verwaltungsgericht mit ihrer Forderung nach Unterricht. Grund für die Ablehnung: Der Verband sei „keine Religionsgemeinschaft.“ bpo