■ Irak-Krise: Nach Kofi Annans überraschendem diplomatischem Schachzug muß das Embargo gegen Bagdad gelockert werden. Denn das Embargo ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln
: Der stille Krieg

So schnell kann das gehen: Gestern noch der Part des ungeliebten Statisten in der amerikanischen Außenpolitik, heute die tragende Rolle des unbeirrbaren Krisenmanagers, der mit Worten durchsetzt, was Washington mit Bomben erreichen wollte. Vielleicht ist es um diese Welt ja so schlecht noch nicht bestellt, wenn die Intelligenz eines UNO-Generalsekretärs dem Einsatz „intelligenter“ Waffen zuvorkommen kann. Bloß kann niemand so tun, als hätte Kofi Annan mit seiner Irak-Mission eine strategische wie ideelle Alternative zum anglo-amerikanischen Militäraufmarsch präsentiert. Ohne die militärischen Drohungen aus Washington und London wäre Annan mit leeren Händen aus Bagdad zurückgekehrt (oder gar nicht erst hingefahren) – und hätte sich aus dem New Yorker Hauptquartier weiter ansehen dürfen, wie Saddam mit den UNO-Waffeninspektoren Katz und Maus spielt.

Die normative Kraft des Flugzeugträgers sollte man also inmitten der völlig berechtigten Ovationen für Kofi Annan nicht vergessen. Sie ändert wiederum nichts daran, daß dieser Beinahe-Militäreinsatz die Konsequenz aus einer irregeleiteten US-Politik gegenüber dem Irak gewesen ist. Deren Motto heißt: Aufrechterhaltung des Embargos bis zum politischen oder physischen Ende Saddam Husseins, was bei dessen Überlebensinstinkt noch weitere zehn oder zwanzig Jahre dauern könnte. Das aber kann und darf nicht die faktische Grundlage von Sanktionen sein, an deren Folgen inzwischen Zehntausende von Menschen gestorben sind.

Womit wir bei der entscheidenden Frage angelangt wären: Wer legitimiert eigentlich auf welcher Grundlage, gegen wen und wie lange ein Wirtschaftsembargo aufrechterhalten wird?

Das Embargo ist die härteste politische Waffe in der internationalen Politik mit der größten Zielungenauigkeit. Es richtet sich in der Regel gegen eine Minderheiten-Clique von Machthabern und trifft immer die ganze Bevölkerung. Es arbeitet fast immer mit der Prämisse, daß diese Clique am wenigsten unter Sanktionen zu leiden hat – ja oftmals daran verdient. Und es arbeitet immer mit dem Kalkül, daß der Leidensdruck unter den betroffenen Menschen irgendwann zu groß und damit für das jeweilige Regime zu einem politisch unkalkulierbaren Risiko wird.

Für die UNO, auf deren Bühne die meisten Embargobeschlüsse verhängt und begründet werden, ergibt sich eine schizophrene Situation: Die vom Sicherheitsrat verabschiedeten Sanktionen können genau das Leid zufügen, gegen das zu kämpfen zum Selbstverständnis der UNO gehört: Menschen werden ausgehungert, ihnen wird medizinische Versorgung verweigert, ihr Bildungssystem geht kaputt, ihre Arbeitsplätze werden vernichtet. Gemäß der sozialen Hierarchien trifft es am schlimmsten die Kinder und die Frauen. Im Jargon des Pentagon werden zivile Opfer von Bombenangriffen als „collateral damage“, als „Nebenschaden“, bezeichnet. Die Toten eines Embargos werden auf ähnliche Weise in eine Kosten-Nutzen- Rechnung hinein- und aus dem Gewissen hinausdefiniert. Der Unterschied ist: Sie sterben sehr viel unauffälliger und leiser.

Dabei ist nicht das Mittel des Embargos indiskutabel, sondern der Entscheidungsprozeß, mit dem es herbeigeführt wird. Es gibt trotz einschlägiger Studien und Empfehlungen, die die UNO selbst in Auftrag gegeben hat, immer noch keine Regeln, die da besagen: 1. Vor der Verhängung von Wirtschaftssanktionen sind sowohl vom Generalsekretär wie auch vom Sicherheitsrat die möglichen Folgen für die Zivilbevölkerung zu benennen. 2. Bei der Entscheidung über die Verlängerung der Sanktionen müssen Angehörige von Hilfsorganisationen gehört werden, die vor Ort die Auswirkungen des Embargos beobachten.

Am Ende eines solchen Diskussionsprozesses gäbe es keine moralisch richtigen oder falschen Entscheidungen, sondern nur Abwägungen, die – formulieren wir es vorsichtig – etwas weniger von den strategischen Interessen oder Desinteressen der ständigen Vertreter im UN-Sicherheitsrat geprägt wären. Abwägungen, die sich aber auch in der öffentlichen Debatte nicht mehr einfach auf die Formel „Militärintervention ist schlecht – Embargo ist gut“ reduzieren lassen. Legt man einem Land, dessen Regierung gegen Völker- und Menschenrecht verstoßen hat, die Daumenschrauben an, obwohl man dessen Zivilbevölkerung vielleicht nicht mehr vorwerfen kann als die mangelnde Courage, seine Diktatoren loszuwerden (was aus deutschem Munde besonders überzeugend klingt)? Oder toleriert man diese Verstöße und Verbrechen, weil Sanktionen zu viele Unschuldige treffen würden? Oder entschließt man sich zu einer militärischen Intervention, die ebenfalls Unschuldige treffen würde?

Beim Embargo gegen den Irak kommt ein besonders perfider Twist dazu: Die maßgeblichen UN-Mitgliedsländer entziehen einer Zivilbevölkerung Arbeit, Nahrung und Medikamente, um deren Machthaber zur Aufgabe jener Waffen und Rüstungstechnologien zu bewegen, die sie ihm vor seinem Aufstieg vom strategisch brauchbaren Durchschnittsdiktator zum arabischen Hitler selbst verkauft haben. Das ändert nichts an der Notwendigkeit, Saddams Militär so weit wie möglich zu entwaffnen. Aber es darf nicht weiter auf Kosten der Zivilisten geschehen.

Was bleibt, ist der alles andere als befriedigende Versuch, die Gunst der Stunde zu nutzen: Eine Heerschar von Unscom-Inspektoren muß so schnell wie möglich Paläste und andere potentielle Waffenlager durchsuchen – wohl wissend, daß sie noch einige, aber längst nicht alle Waffenvorräte finden wird.

Das Embargo muß aus humanitären wie politischen Gründen aufgehoben werden, die Militärpräsenz der Amerikaner vorerst bleiben. Dann hätten die Menschen im Irak nach langer Zeit endlich wieder etwas gewonnen – und Saddam Hussein etwas zu verlieren, sollte er seine Blockadetaktik gegenüber den Inspektoren wiederauflegen wollen.

Annan muß klarmachen, daß die UNO in Zukunft nicht mehr ohne Berücksichtigung der Zivilbevölkerungen Wirtschaftssanktionen absegnen kann. Das sollte der Generalsekretär tun, solange er den Rückenwind seiner erfolgreichen Irak-Mission noch spürt. Andrea Böhm