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■ NachschlagDie amerikanische Performerin Karen Finley saugte im Podewil

Der hysterische Ausbruch droht auf jeder Ebene. Dinge geraten außer Kontrolle. Wenn Karen Finley in ihrer One-woman-Show staubsaugt, Geschichten anfängt und wieder abbricht, ihre Manuskripte nicht findet und bei versagender Videotechnik um Publikumshilfe bittet, dann scheint sich der schleichende Wahnsinn einer Hausfrau, die zwischen den Küchengeräten den Kontakt zur Wirklichkeit und den Verstand verloren hat, auf der Bühne fortzusetzen.

Finley, amerikanischer Star des No-Tech-Festivals im Podewil, redet ununterbrochen, aufdringlich wie eine Talkmasterin, distanzlos wie Betrunkene an der Bar, zwei Stunden lang. Sie quatscht ihr Pubikum zu, lullt es ein in Tratsch, wärmt es mit Kalauern an; aber kaum daß es lustig zu werden verspricht, passiert es, werden die Bilder gewaltsam, denn: „Humor and humilation are very similar.“ Sie erzählt von den sexuellen Obsessionen verlassener Ehefrauen und von der Trauer um den Geliebten, der an Aids starb, von skandalisierten Körpern und der Zerstörung der Intimität. Der letzte Text gilt der Erinnerung an eine Vergewaltigung, und mit den Gefühlen der Angst, Schwäche und Verletzbarkeit erreicht die Performance ihre größte Intensität.

Über die Szenen blendet Finley Dias und Videos, die keinen Zweifel an ihrem Thema lassen: der Differenz zwischen den realen Erfahrungen des Körpers und seinen fiktionalen Bildern. Fotografien von den Händen und Füßen alter Menschen erinnern an den gesellschaftlich ausgeblendeten Verfall des Körpers. Ein kurzes Video zeigt Finley nackt im Museum zwischen Akt-Skulpturen; das Ideal der Kunst ist eine von vielen Projektionen, die sich nicht wie die Schale einer Zwiebel abziehen lassen.

Seit sieben Jahren ist Karen Finley in den USA nicht nur berüchtigt als die Performerin, die sich mit Schokolade einschmierte, sondern auch der Pornographie angeklagt. Da das Gerichtsverfahren am Mittwoch fortgesetzt wird, mußte sie ihr geplantes Künstlergespräch in der HdK absagen. Ihre Kunst ist anstrengend, moralisierend, feministisch, amerikanisch, vielleicht auch platt in der Dekonstruktion von Klischees – pornographisch aber ist sie sicher nicht. Denn Pornographie ist ein Lieferant falscher Bilder, die sie als Feministin verfolgt. Eine beklemmende Sequenz ihrer Performance gilt der Lächerlichkeit und Grausamkeit ausgestellter Sexualität: Im knappen Body windet sie sich wie in der Peepshow, der Schatten ihrer hochgereckten Beine fällt auf die Projektion ihres Gesichts. Sie erzählt von Glamourboys und männlichen Geschlechtsteilen; doch je mehr sie sich in den Sprachrausch steigert, desto absurder werden die Grimassen und die Vortäuschung der Lust. Das ist komisch und bedrückend zugleich. Katrin Bettina Müller

„No Tech“ am 6./7. März mit Workshops im Podewil, 20 Uhr

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