piwik no script img

Euro im Widerstreit, ein eher zahmer Beginn

■ Die vier klagenden Professoren haben ihre Anklageschrift in Buchform vorgelegt, Hans-Ulrich Jörges hat ein Potpourri ziemlich allgemeiner Bekenntnisschriften versammelt

„Es ist einfach nicht wahr, was der Bundeskanzler behauptet, der Euro befördere den Frieden in Europa. Das Gegenteil ist richtig: Streit und Zank, Mißgunst und Haß unter den Partnern werden zunehmen. Es ist nicht der Gedanke an das Gemeinwohl, sondern schieres Besitzdenken, wenn sich die Großen unserer Wirtschaft in Industrie und Bankwelt vom Euro bessere Geschäfte versprechen. Sie werden erkauft mit mehr Inflation, letztlich auch mit höheren Zinsen und mit weniger Arbeitsplätzen im europäischen Binnenmarkt.“ So begründen die vier Professoren Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty ihre „Euro-Klage“, die sie am 12. Januar 1998 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben.

Das Werk enthält den Wortlaut dieser Verfassungsbeschwerde. Das Gericht soll eine einstweilige Anordnung beschließen, um dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung aufzugeben, die dritte Stufe der Europäischen Währungsunion – also die Einführung des Euro – zu verschieben. Die Verfasser sehen folgende Grundrechte verletzt: 1. Die Bürger werden durch eine rechtswidrige Politik entmündigt, der Bundestag bleibt ausgeschaltet, Akzeptanz und Vertrauen in der Bevölkerung fehlen; 2. Eigentum und soziale Rechte der Bürger werden durch den Euro gefährdet, weil er auf unsicherer Basis steht und zu sozialen Verwerfungen führt; 3. die vom Bundesverfassungsgericht 1993 zur Voraussetzung des Euro erklärte Stabilitätspolitik greift nicht: „Trotz vielfältiger Manipulationen ist der für die Mitglieder der Währungsunion vorgeschriebene Höchstwert der Staatsverschuldung von 60 Prozent weit überschritten, er nähert sich 74 Prozent nach 56 Prozent bei Vertragsabschluß [...]. Die 3-Prozent- Hürde der Neuverschuldung schaffen viele Mitgliedsstaaten nur mit Hilfe ,kreativer Buchführung‘.“ Naturgemäß ist dieser juristisch geprägte Text dröge, auch wenn die Klageschrift für die Buchveröffentlichung leicht gekürzt wurde.

In seinem Buch „Der Kampf um den Euro“ stellt Herausgeber Hans-Ulrich Jörges fest: „Die Opposition im Bundestag – mit Ausnahme der PDS – hat ihre Rolle und ihre Pflichten als Opposition in der Euro-Frage freiwillig und vollständig aufgegeben.“ Mit seinem Sammelband will der stellvertretende Chefredakteur der Woche das Stigma der Europafeindlichkeit überwinden, das in Deutschland bisher jedem Euro- Kritiker anhängt. Das Buch enthält ein Potpourri von 41 Beiträgen, meist kurzen Statements.

Empirisch abgesichert und analytisch seriös sind insbesondere die Beiträge von drei der vier Klage- Verfasser. Sie schreiben hier ohne juristische Schnörkel. Hankel gibt einen Abriß der seit 1958 gescheiterten vier Vorläufer des Euro (zuletzt Europäisches Währungssystem, EWS) und verweist anhand von Deutscher Mark, Schweizer Franken und US-Dollar darauf, daß erfolgreiche Währungen immer eine politische Vereinheitlichung und Verfassung erfordern. Aus den Maastricht-Kriterien und als Folge des Euro sagt Hankel den weiteren Abbau des Sozialstaats, Währungsturbulenzen, „wildeste Lohnkonkurrenz“ und Senkung der Realeinkommen der Arbeitnehmer voraus.

Nölling, bis 1992 Präsident der Hamburger Landeszentralbank, rechnet vor, daß nach dem Maastricht-Vertrag vor allem die „Konvergenz der Misere“ vorangekommen ist, vor allem bei der Arbeitslosigkeit. Nölling analysiert die „Machtstellung der Europäischen Zentralbank“ (EZB), die, anders als die Bundesbank, keinerlei politischer Kontrolle unterworfen sein wird. „Die EZB beginnt als Novum der Wirtschaftsgeschichte. Eine Zentralbank ohne Einbettung in Gesellschaft und Politik einer Vielzahl von Ländern hat es noch nie gegeben.“ Schachtschneider geht aus verfassungsrechtlicher Sicht von der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes aus. Er nimmt die Preisstabilität à la Maastricht und Euro auseinander: „Es besteht im Rechtssinne nur der Schein von hoher Preisstabilität. Für die Menschen ohne hinreichendes Einkommen sind auch die unveränderten Preise zu hoch. Mit sinkendem Einkommen mindert sich die Kaufkraft.“ Die Spaltung der Verantwortung für die Währung (beim EZB) einerseits und für die Wirtschafts- und Sozialpolitik andererseits (bei den nationalen Regierungen) widerspreche sowohl der Einheit der Europäischen Union als auch dem nationalen Verfassungsprinzip der Einheit der Staatsgewalt (Art.20 GG).

Es überwiegen die Beiträge politischer Bekenntnisprosa, so Heiner Geißlers „Der Euro schafft Arbeitsplätze“, Oskar Lafontaines „Der Euro wird eine wesentliche Ursache der Arbeitslosigkeit beseitigen“ und Jürgen Trittins „Gegen DM-Chauvinismus und Deregulierung eine gemeinsame europäische Währung“. Als Stimmungsbild aufschlußreich sind Zweifel, die etwa Kurt Biedenkopf, Ralf Dahrendorf und der Unternehmensberater Roland Berger äußern. Peter Christ wundert sich über das „Schweigen der Manager“, die vom Euro kaum Gutes erwarten, sich aber „still in ihr Schicksal fügen“. Meinungsforscher Manfred Güllner beschreibt die Volksstimmung: Nur noch 15 Prozent befürworten die pünktliche Einführung des Euro, 76 Prozent sind für Verschiebung.

„Offensichtlich ist, daß der Bundeskanzler den Euro will, aus welchen Gründen auch immer“, stellt Wolfgang Kartte fest, bis 1992 Präsident des Bundeskartellamts. Kartte legt damit freundlich den Finger auf die Wunde: Wer will denn nun den Euro? Und zwar als Schicksalsfrage und Mittel zum ewigen Frieden? Kartte deutet es sanft an: „Der Euro schafft neue Rollfelder für die Multis, die zu gigantischen Zusammenschlüssen abheben.“ Es ist die Schwäche des Sammelbandes, daß hier, wo es ernst und konkret zu werden anfängt, nicht weitergedacht wird. Auch die genaue Befassung etwa mit der Frage, warum der größte Finanzplatz der EU, London, mit seinen Finanzoasen zwischen Cayman Islands und Gibraltar nicht zum Euro gehören wird, aber inzwischen alle europäischen Großbanken sich dort niederlassen, könnte Erhellung über den Charakter der neuen Währung bringen. So bleibt der anfangs von Jörges versprochene Streit zahm und Empirie die Ausnahme. Jörges vermutet, daß der verdrängte Streit in Deutschland erst später beginnt: „Wenn der Euro kommt und die ersten praktischen Auswirkungen zu beobachten sind, spätestens dann geht es erst richtig los.“ Auch mit neuen Argumenten, wie zu hoffen ist. Werner Rügemer

W. Hankel/W. Nölling/ K.A. Schachtschneider/J. Starbatty: „Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß“. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 1998. 304 Seiten, 16,90 DM

„Der Kampf um den EURO. Wie riskant ist die Währungsunion? 41 Experten und Prominente streiten über das neue Geld“. Hrsg. von Hans-Ulrich Jörges, Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 1998, 384 Seiten, 32 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen