Castor-Gegner im kalten Wind

Sonntagsspaziergang zum AKW Neckarwestheim mit nur 50 Demonstranten. Lokalpresse fürchtet sich vor dem „schwarzen Block“. Hoffnung auf den 19. März, den Tag der Blockade  ■ Von Heide Platen

Oben kachelt der Wind eiskalt über die Weinberge. Gegenüber, auf der anderen Seite des Neckars, auf dem Hang wächst der am besten bewachte Wein der Welt. Die Terrassen gehören zur Gemeinde Gemmrigheim in Baden-Württemberg und sind betoniert mit dem Steuergeld des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar (GKN). Da gedeiht Trollinger. Unten im Tal liegt das stillgelegte Kohlekraftwerk Walheim. Zwischen Fluß, Bahnschienen und Kohlehalden wird die Verladestation sein, wenn in zwei Wochen die Castor-Behälter von der Straße auf die Bahnwaggons in Richtung westfälisches Ahaus verladen werden. Hier werden sie mit den drei Transportbehältern aus dem bayerischen Gundremmingen zusammengekoppelt.

Die sechs Brennstab-Frachten rollen dann auf einem kurzen Schienenstück durch das Wohngebiet des Dorfes Walheim auf die Hauptstrecke Richtung Stuttgart. Oben wird, zwischen Maulwurfshügeln und aufgegebenen Weinreben, eine Mahnwache stehen. „Das hier“, sagt Herbert Würth, „ist wirklich nur ein Wiesle.“ Die Atomkraftgegner im Südwesten der Bundesrepublik haben einen schweren Stand. Keine der umliegenden Gemeinden wollte ihnen Land verpachten für die Wiederstandscamps, die in den Tagen vor dem „Tag X“ in der Region entstehen sollen. „Wiesle“ für „Wiesle“ haben sie sich Grundstücke bei Nebenerwerbsbauern monatelang zusammengesucht. Nun sind es fünf, drei größere und zwei handtuchgroße Grundstücke als „Notquartiere“. Alle liegen kilometerweit weg vom Atomkraftwerk.

Das Hauptcamp oberhalb der Bahnstation Kirchheim ist über Feld- und Wiesenwege zu erreichen, vorbei an Brombeerhecken, nur 20 Meter breit, dafür aber 120 Meter lang. Die Gegend rund um das Atomkraftwerk heißt im Volksmund „Das kalte Eck“. Auch am Bahnhof pfeift stetig der Westwind. Die Sonntagsspaziergänger, die sich hier bis zum vermuteten Transporttermin, dem 20. März, regelmäßig treffen, halten die Transparente tapfer fest, als seien es Segel im Sturm. Die Flugblätter fliegen um die Hausecken davon. 25 Initiativen sind im Aktionsbündnis zusammengeschlossen. Gerade mal 50 Menschen sind vergangenen Sonntag gekommen. Initiativsprecher Herbert Würth hatte auf „wenigstens 100“ gewettet und sagt nur noch: „Oje!“ Dann stemmt sich das Häuflein gegen den Sturm. Das Megaphon ist fest auf einer Kinderkarre montiert.

Vom Bahnhof aus geht es aufwärts über die einzige Brücke in Richtung Neckarwestheim zum Atomkraftwerk im Nachbartal. 170 Castor-Transporte sind bis 1996 von dort aus schon über diese Brücke nach La Hague in Frankreich und seit 1997 ins englische Sellafield gerollt, jeder Castor- Transportbehälter 120 Tonnen schwer. Rote Striche markieren die Fahrbahnmitte für die schweren Fahrzeuge. Auf den Weinbergen patrouillieren die Werkschutzwagen des Betreibers GKN. Unterhalb der Brücke kickt die Neckarwestheimer Jugend vor der teuren Sporthalle. Das Atomkraftwerk zahlt sich aus für die Gemeinde. Im Ort steht eine neue Mehrzweckhalle, der Marktplatz ist postmodern proper. Blumenkübel überall.

Die Neckarwestheimer haben sich eingerichtet mit dem Atomkraftwerk. Der Rückhalt der Atomkraftgegner in der Bevölkerung ist gering. Würth: „Die sind doch froh, wenn der Atommüll hier wegkommt.“ Um hier zu demonstrieren, brauche es, schon wegen der Nachbarn, „einigen Mut“: „Das ist anders als in Ahaus. Wenn hier nur 1.000 oder 2.000 zum Tag X kommen, ist das für unsere Verhältnisse schon traumhaft.“

Rechts von der Landstraße stehen zwischen den Feldern zwei aufgelassene Aussiedlerhöfe. Da hat die GKN in den letzten Jahren Land gekauft. Wofür, darüber darf spekuliert werden. Möglicherweise, fürchtet man in der Region, soll dort wegen der zunehmenden Proteste gegen die Transporte irgendwann einmal ein eigenes Zwischenlager entstehen.

Im Atomkraftwerk dampft es über den Kuppeln von Block1 und 2. Hinter Betonmauern und Stacheldraht surren die Videokameras. Und dann ist die Bürgerinitiative verdutzt. Am Tor 2, da, wo ab dem Vorabend des Tages X „verschärft blockiert“ werden soll, ist alles menschenleer. Vorbei geht es am unbesetzten Pförtnerhaus zum Haupttor: „Bis hierhin haben wir noch nie gedurft!“ Die Aufforderung zur „verschärften Blockade“ mit Musikgruppen, Reden und Kulturprogramm hatte im Vorfeld auch in den eigenen Reihen zu Besorgnis geführt. Im Plenum des Aktionsbündnisses fanden das einige Gruppen zu gefährlich. Und die Lokalpresse formulierte die Bedenken der properen Region, daß der „schwarze Block“ anreisen und randalieren könnte.

Sprecherin Heidi Lindstedt ist ungehalten. Dafür, daß von anderswo Menschen anreisen, „kann ich die Verantwortung nicht übernehmen“. Das Aktionsbündnis beschränke sich auf Koordinierung und Organisation der Infrastruktur vom „Klo bis zu Übernachtung und Essen“. Und das soll diesmal besser funktionieren als Anfang 1997 bei den Transporten ins niedersächsische Gorleben: „Da war alles zu verzettelt. Wir hatten drei Treffpunkte und keinen Plan.“

Den „schwarzen Block“ hält Lindstedt für eine Schimäre: „Den haben wir hier im Süden noch nie gesehen.“ Die paar Bunthaarigen aus dem benachbarten Jugendzentrum, die gerade den Betonzaun mit Anti-Castor-Aufklebern dekorieren, könnten damit jedenfalls nicht gemeint sein. Die sind so brav, daß sie die Schottersteine, die sie zum Beschweren der Flugblätterstapel benutzt haben, hinterher ordentlich wieder auf die Schienen am Bahnhof zurücktragen.

Das Aktionsbündnis hat sich auf Plena geeinigt: „Keine Gewalt gegen Menschen.“ Heidi Lindstedt meint das allerdings sehr eng gefaßt: „Wenn wir etwas auf die Straße malen, dann ist das doch auch schon Gewalt gegen Sachen.“ Deeskalationsgespräche hat das Aktionsbündnis nicht geführt. Die örtliche Polizei regelt den Verkehr während der Sonntagsspaziergänge einvernehmlich und geduldig. Zu Verhandlungen mit dem Innenministerium oder dem Bundesgrenzschutz aber sehen die Initiativen keinen Anlaß, nachdem diese 1997 Gespräche im Vorfeld „als Deeskalition verkauft“ hätten, dann aber mit Hunde- und Reiterstaffeln sowie Hubschraubern angerückt seien.

Aktionen: Regelmäßige Sonntagsspaziergänge ab 14 Uhr vom Bahnhof Kirchheim/Neckar, Mahnwachen und Info-Bus zur Auftaktdemonstration am 15. März und Beginn der Blockade am 19. März. Tel. (07141) 903363; im Internet: http://www.I-st.net/~ buendnis/