Tritt vors Schienbein als Verhörtechnik

Im Bernauer Polizistenprozeß brach erstmals nach zwei Jahren die Mauer des Schweigens. Ein angeklagter Beamter sagte, „widerliche Dinge“ seien bei der Polizei normal. So lernt man das in den Polizeischulen  ■ Aus Frankfurt/Oder Vera Gaserow

Zwei Jahre herrschte auf der Anklagebank stures Schweigen. Wenn im Landgericht Frankfurt an der Oder die Strafsache „Grunz und andere“ aufgerufen wurde, standen die acht Männer wie eine Wand: Kein Sterbenswort zu den Vorwürfen, die dem Städtchen Bernau weit über die brandenburgischen Landesgrenzen hinaus unrühmliche Bekanntheit verschafft und den Angeklagten die vorläufige Suspendierung vom Polizeidienst eingebracht haben. Die Dienstschicht Dora der örtlichen Polizeiwache, so die Anklage, soll hier über Jahre Ausländer vietnamesischer Staatsangehörigkeit geschlagen, getreten und bewußt gedemütigt haben.

Gestern, kurz vor Abschluß der zweijährigen, quälend zähen Beweisausnahme, brach ausgerechnet der Hauptangeklagte das Schweigen. Ihn, den Polizeihauptmeister Joachim Grunz, hatten die Vietnamesen wegen seiner Brutalität besonders gefürchtet. „Der Glattrasierte“ wie sie ihn nannten und im Gerichtssaal wiedererkannten, galt als der zupackendste und brutalste der Wache.

Gut eine Stunde verlas der ehemalige DDR-Polizist Grunz gestern stockend, aber ohne sichtbare Regung eine Art Teilgeständnis – ohne jegliches Unrechtsbewußtsein: Was sich auf der Polizeiwache an „sehr unschönen“ Dingen ereignet habe, beteuerte Grunz, sei „ganz normales polizeiliches Handeln, wie es in den Polizeischulen der Bundesrepublik gelehrt und trainiert wird“. Einer Person etwa, die sich durch passives Fallenlassen der Festnahme widersetze, „vor das Schienbein zu treten oder zu ohrfeigen, ist eine ganz normale Vorgehensweise“, meinte Grunz. Er selbst bevorzuge – „auch wenn dies zunächst sehr schmerzhaft ist“ – den Tritt vors Schienbein als „Schocktechnik“. Das sei, zugegebenermaßen „widerlich“ und werde auch von Polizisten so empfunden, genauso widerlich wie die körperliche Durchsuchung von Festgenommenen, die sich dazu nackt ausziehen müßten. „Es ist die Drecksarbeit“, so Grunz zu den Journalisten und Zuhörern im Gerichtssaal, „die Sie alle von uns erwarten.“

Wohl möglich, daß Grunz und seine Kollegen auf den Nachwende-Seminaren zum Thema „Polizei im Verfassungsstaat“ da doch etwas mißverstanden haben. Sicher ist jedoch, daß Grunz selbst nach eigenem Bekunden diese „Drecksarbeit“ besonders eifrig versah. Ja, er sei einer der bekanntesten Polizisten der Stadt gewesen, aber nur deswegen, weil die anderen Kollegen ihn immer vorgeschickt hätten gegen die illegalen Zigarettenverkäufer, während sie selbst lieber zuschauten. Er sei nun mal sehr sportlich gewesen. So sportlich, daß er auch allein mit nur einem Kollegen die Verfolgungsjagd aufnahm, wenn er irgenwo ein Grüppchen Vietnamesen sah. Aber er habe „zu keinem Zeitpunkt einen Vietnamesen mißhandelt“. Nach dem gestrigen Verhandlungstag muß man hinzufügen: nicht brutaler, als die Bernauer Polizisten glaubten, was erlaubt ist.

An die einzelnen Mißhandlungen, die im Laufe des Prozesses von betroffenen Vietnamesen aber auch von unbeteiligten Zeugen glaubhaft bekundet wurden, konnte Grunz sich nicht erinnern. Es seien halt zu viele Festnahmen gewesen. Keine Erinnerung, daß Vietnamesen sich auf der Wache nackt ausziehen und im Damenslip vor den Uniformierten auf und ab marschieren mußten. Keine Rede, daß man die „Fidschis“ gezwungen habe, Schlitzaugen zu machen für ein Foto, oder daß ein deutscher Hausmeister, nicht gerade ein Ausländerfreund, spontan einschritt, weil er das Vorgehen der Bernauer Polizisten zu grob fand. Wenn es zu Mißhandlungen auf dem Revier gekommen wäre, so Grunz, hätten die anderen Kollegen das ja merken müssen.

Aber die Kollegen der Bernauer Wache wollen nichts gehört und nichts gesehen haben. Und die Mitangeklagten, von denen vier Minderbelastete bereits freigesprochen wurden, schwiegen bisher wie Grunz. Nächste Woche wird auch der zweite Hauptbeschuldigte, der Polizist Rohr, mit einer Erklärung die Flucht nach vorn antreten. Das Gericht, das diesen Prozeß nur noch äußerst lustlos und schleppend führt, müßte dann vielleicht erneut in die Beweisaufnahme eintreten. Damit könnten die Angeklagten zwar Zeit gewinnen, nicht aber unbedingt ihre Unschuld.