Die küstenweite Killer-Kooperative

■ Der Held, Polizeipsychologe, gehört zu den Besten seiner Zunft. Zum Thriller "...denn zum Küssen sind sie da" kann man das nicht sagen

Das Abbild eines weiblichen Gesichts wird mit dem Computer beim Scannen über sein Original gelegt. Das Gesicht ist plötzlich doppelt vorhanden und doch nicht da: Es löst sich auf. Was, verdammt noch mal, soll das schon wieder bedeuten? Abgesehen davon, daß sich diese schizoide Muster suggerierende Art von Einstieg in einen Psychothriller in den letzten vier Jahren zunehmender Popularität erfreut. Auch Gary Fleders Thriller „...denn zum Küssen sind sie da“ eröffnet mit dem Hinweis auf das dissoziative Potential eines Psychopathen-Killers. Derselbe (Cary Elwes) unterzeichnet trefflicherweise immer mit Casanova, kidnappt er doch ausnahmslos erlesen schöne und gleichermaßen hochbegabte junge Frauen und tötet sie, wenn sie seine Regeln nicht befolgen.

Den Spaß- und Wettbewerbsfaktor erhöht Casanova via E-Mail durch regen Gedankenaustausch mit einem Serienkiller-Berufskollegen, der an der US-amerikanischen Westküste sein Unwesen treibt. Das Genre schreit nun aber nach dem Gutewicht: Alex Cross (Morgan Freeman) ist Bestsellerautor und klinischer Polizeipsychologe und als solcher ein Superbulle; ganz beiläufig schwatzt er angehenden Selbstmörderinnen die Knarre von der Stirn. Die Fassung verliert Detective Cross nur, als schließlich auch seine Nichte, eine hochbegabte College-Studentin, vermißt wird.

Das Motiv zählt zu den Mythen des modernen Thrillers: Es war einmal ein Superbulle, der in die Provinz eilte, um ein Verbrechen aufzuklären, dort aber auf Widerstände traf. Am Ziel seiner Reise muß auch Cross feststellen, daß sich die örtlichen Behörden erstens nicht sonderlich kooperativ verhalten und daß zweitens seine Naomi nicht die einzige ist, die in Durham (eigentlich Chapel Hill) vermißt wird.

Regisseur Fleder (unter anderem der Psychothriller „Air Time“ und die Dokumentation „Animal Instinct“) bildet in seiner Verfilmung eines Bestsellers von James Patterson den Schlangenkreis aus Jäger, Gejagtem und demjenigen, der seinerseits den Jäger jagt, nach.

„...denn zum Küssen sind sie da“, im Original weniger schlagerhaft „Kiss the Girls“ betitelt, weckt in puncto anonyme Bedrohlichkeit durch einigen „Stalkerism“ zwar Erinnerungen an das belämmerte Schweigen und „Copy Kill“, kann die Spannung aber überhaupt nicht halten. Die Sache gleitet zum Ende hin vielmehr in Richtung lachhaft, vor allem wenn der Unhold seine Opfer als eine Art anmutiger Jungfernkreis in einer düsteren Gruft versammelt. Alle tragen ein Abendkleid, und während Kerzen die Szenerie erleuchten, muß eine ausgewählte Hochbegabte etwas Künstlerisches vortragen.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt, wenn der Zuschauer dem pseudoromantisierenden Wahn der Regie zum Opfer fällt, mag man sich nicht mehr recht fürchten. Selbst den Schatten mit der Maske hatte man in „Zorro“ lustiger. Der Film lohnt dennoch wegen Ashley Judd. Wenn ihre Ärztin Kate Mctiernan vor dem Mörder in die Wälder von North Carolina flüchtet, wirkt es, als stünde ihr die Natur (!) im Weg. Ashley Judd (unter anderem „Heat“, „A Time To Kill“) ist nicht nur Schauspielerin, sondern als Sinnbild einer intelligenten und besonnenen, aber nicht auftrumpfenden jungen Südstaatenfrau ein erstklassiges role model. Anke Westphal

„...denn zum Küssen sind sie da“, USA 1997, Regie: Gary Fleder, mit Ashley Judd, Morgan Freeman u.a.; Farbe, 110 Min.